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Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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der Tatkraft der Baumeister zu schöpfen, die den Himmel und Erde einenden Lichtstrahlen steinernen Ausdruck verliehen hatten.
    »Weißt du, wo sich die Spukgestalt verbirgt?«
    »Kein Handwerker hat es je gewagt, ihr zu folgen.«
    Da erblickte der König den alten Mann, der immer noch aß, und ging auf ihn zu. Vor Schreck ließ der Steinmetz sein Brot fallen, sank mit nach vorn gestreckten Händen auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden.
    »Weshalb bist du nicht mit den anderen geflohen?«
    »Ich … ich weiß es nicht, Majestät.«
    »Du kennst den Ort, an dem sich die Spukgestalt verbirgt, nicht wahr?«
    Den Pharao zu belügen würde mit ewiger Verdammnis bestraft werden.
    »Bringe uns hin!«
    Zitternd führte der betagte Mann den König durch die Straßen zwischen den Gräbern der getreuen Diener des 294

    Mykerinos, die im Jenseits weiterhin sein Gefolge bildeten.
    Diese Ruhestätten waren mehr als tausend Jahre alt, und Khas geübtem Blick entging nicht, daß manche von ihnen ebenfalls der Ausbesserung bedurften.
    Sie betraten einen kleinen Hof, in dem Reste von Kalksteinen herumlagen. In einer Ecke türmte sich ein Haufen nicht allzu großer Blöcke.
    »Hier ist es«, sagte der Mann, »aber geht nicht weiter.«
    »Wer ist dieser Geist?« erkundigte sich Kha.
    »Ein Bildhauer, dessen Andenken nicht in Ehren gehalten wurde und der sich jetzt rächt, indem er seinesgleichen angreift.«
    Die Hieroglypheninschrift besagte, daß der Verstorbene zur Zeit Mykerinos’ einem Trupp von Bauhandwerkern vorgestanden hatte.
    »Räumen wir diese Steine weg!« befahl Ramses.
    »Majestät …«
    »An die Arbeit!«
    Zum Vorschein kam der Einstieg in einen rechteckigen Schacht. Kha warf einen Kiesel hinein, der scheinbar unendlich lange fiel.
    »Das sind mehr als dreißig Ellen«, schätzte der Steinmetz, als er den Aufschlag auf dem Grund des Schachtes hörte. »Wage dich nicht in diesen Höllenschlund, Majestät.«
    An einer Wand des Schachtes hing ein Seil mit Knoten.
    »Dennoch muß jemand hinuntersteigen«, befand Ramses.
    »Dann ist es meine Aufgabe, dieses Wagnis einzugehen«, entschied der Handwerker.
    »Kennst du denn die Beschwörungsformeln, mit denen du die Spukgestalt daran hindern könntest, weiteren Schaden anzurichten, falls du ihr begegnest?« wandte Kha ein.
    295

    Der alte Mann senkte den Kopf.
    »Als Oberpriester des Ptah«, erklärte Ramses’ Sohn, »kommt es mir zu, diese Pflicht auf mich zu nehmen. Verbiete es mir nicht, Vater.«
    Kha machte sich an den Abstieg, der ihm endlos lang schien.
    Auf dem Grund des Schachtes war es nicht dunkel, denn von den Wänden aus Kalkstein ging ein sonderbares Leuchten aus.
    Endlich spürte der Oberpriester holprigen, aber festen Boden unter seinen Füßen und entdeckte einen schmalen Gang, der zu einer Scheintür führte. Auf ihr war der Verstorbene abgebildet, umgeben von wie Säulen anmutenden Hieroglyphenreihen.
    Und da begriff Kha, was geschehen war.
    Ein breiter Sprung verlief in voller Höhe über den beschriebenen Stein und entstellte das Antlitz dessen, dem die Sprüche der Wiedererweckung zugute kommen sollten. Da er sich nicht mehr in einem lebendigen Bildnis verkörpern konnte, hatte sich sein Geist in eine bösartige Spukgestalt verwandelt und nahm den Lebenden übel, daß sie sein Andenken nicht in Ehren hielten.
    Als Kha dem Schacht wieder entstieg, war er zwar müde, strahlte aber vor Zufriedenheit. Sobald die Scheintür ausgebessert und das Gesicht des Toten liebevoll neu gemeißelt war, würde der Spuk vorüber sein.
    296

    ZWEIUNDVIERZIG
    EIT SEINER RÜCKKEHR nach Pi-Ramses legte sich U
    S riteschups Zorn nicht mehr. Während einer unendlich langen Reise ohne Unterlaß von Serramanna überwacht, zur Untätigkeit verurteilt und von jedweder Möglichkeit, Nachrichten zu empfangen, abgeschnitten, hätte er nur zu gern ganz Ägypten niedergemetzelt, angefangen mit Ramses. Dabei mußte er noch die verliebten Anstürme der schmachtenden Tanit ertragen, die ihr tägliches Maß an Lust brauchte und schon wieder ankam, halb nackt, in ihrer üblichen Wolke von Parfüm.
    »Liebster … Die Hethiter sind da!«
    »Was heißt: die Hethiter?«
    »Hunderte … Hunderte von Hethitern sind in Pi-Ramses eingefallen!«
    Uriteschup packte die Phönizierin bei den Schultern.
    »Hast du den Verstand verloren?«
    »Meine Bediensteten behaupten es.«
    »Die Hethiter haben angegriffen, im Herzen von Ramses’
    Königreich zugeschlagen … Das ist wie ein Traum,

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