Im Schatten der Akazie
dessen Spitze auf den Abendstern.
»Sieh dir diese Waffe genau an! Sie hat Acha getötet, Ramses’ Freund. Sie wird den Pharao töten, und sie wird auch dir die Brust durchbohren, wenn du mich verrätst.«
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VIERUNDVIERZIG
UR FEIER SEINES Geburtstags hatte Ramses seine zwei S
Z öhne, Kha und Merenptah, an seine Tafel geladen, sowie Ameni, den Getreuesten der Getreuen, der den Einfall gehabt hatte, den Koch des Palastes zu bitten, für diesen Anlaß
»Ramses’ Gaumenfreude« zuzubereiten und dazu einen edlen Wein aus dem Jahre drei der Herrschaft Sethos’ zu reichen.
Zum Glück für die Zukunft Ägyptens bestand zwischen Kha und Merenptah keinerlei Meinungsverschiedenheit. Der erstgeborene Sohn, ganz Gottesmann und den Ritualen verhaftet, strebte weiterhin nach Wissen, indem er die alten Schriften und die Bauwerke der Vergangenheit studierte, indes der jüngere das Amt des Oberbefehlshabers ausübte und über die Sicherheit des Landes wachte. Kein anderer »Sohn des Königs« besaß ihre Reife, ihre Gewissenhaftigkeit und ihren Staatssinn. Sobald er den Augenblick für gekommen hielt, würde Ramses in aller Ruhe seinen Nachfolger bestimmen.
Aber wer wollte schon Ramses dem Großen nachfolgen, der im Alter von sechzig Jahren immer noch eine so strahlende Erscheinung war, daß er die Blicke der Schönen des Palastes anzog? Seit langem hatten Ruhm und Ansehen des Pharaos die Grenzen Ägyptens überschritten, und bei den Geschichtenerzählern vom Süden Nubiens bis zur Insel Kreta war seine Legende in aller Munde. War er nicht der mächtigste Herrscher auf der ganzen Welt, der Sohn des Lichts und der unermüdliche Erbauer von Tempeln und Statuen? Noch nie hatten die Götter einen Menschen mit so vielen Gaben ausgestattet.
»Trinken wir auf den Ruhm von Ramses«, schlug Ameni vor.
»Nein«, entgegnete der König. »Preisen wir lieber unsere Mutter Ägypten, dieses Stück Erde, das den Himmel 311
widerspiegelt.«
Die vier Männer waren sich einig in ihrer Liebe zu einer Kultur und zu einem Land, die ihnen so viele wunderbare Dinge bescherten und denen sie auch weiterhin ihr Leben weihen wollten.
»Warum ist Merit-Amun nicht bei uns?« fragte Kha.
»Sie musiziert in dieser Stunde zu Ehren der Götter. Das war ihr eigener Wunsch, und ich lasse ihn gelten.«
»Du hast Maat-Hor nicht eingeladen«, bemerkte Merenptah.
»Sie residiert jetzt im Harim Mer-Our.«
»Dabei bin ich ihr vorhin noch in den Küchen begegnet«, wunderte sich Ameni.
»Sie sollte den Palast bereits verlassen haben. Ameni, kümmere dich gleich morgen darum, daß meine Entscheidung ausgeführt wird. Hast du etwas über die Libyer erfahren, Merenptah?«
»Nichts Neues, Majestät. Wie es scheint, ist Malfi von Sinnen, und sein Traum von der Eroberung Ägyptens beschränkt sich auf sein krankes Gehirn.«
»Das Gespenst von Gizeh ist verschwunden«, berichtete Kha.
»Die Steinmetzen arbeiten wieder in Frieden.«
Da überbrachte der Verwalter des Palastes dem König eine Botschaft. Sie trug Setaous Siegel und den Vermerk
»Dringend«.
Er löste das Siegel, entrollte den Papyrus, las die kurze Nachricht seines Freundes und erhob sich sogleich.
»Ich mache mich unverzüglich auf den Weg nach Abu Simbel. Beendet dieses Mahl ohne mich.«
Weder Kha noch Merenptah, noch Ameni verspürten Lust, sich ohne Ramses an seiner »Gaumenfreude« gütlich zu tun.
Für einen Augenblick war der Koch versucht, sie mit seinen 312
Gehilfen zu verspeisen, doch es handelte sich um das Mahl des Königs. Sich an ihm zu vergreifen wäre eine Beleidigung und zugleich Diebstahl gewesen. Deshalb warf er mit Bedauern das Festtagsgericht weg, in welches Maat-Hor das von Uriteschup erhaltene Gift geschüttet hatte.
Wieder einmal zog Nubien den König in seinen Bann. Die klare Luft, das makellose Blau des Himmels, das bezaubernde Grün der Palmen und des Fruchtlandes, das sich vom Nil nährte, um gegen die Wüste anzukämpfen, der Flug der Pelikane, der Kronenkraniche, der rosaroten Flamingos und der Ibisse, der Duft der Mimosen und die Magie, die von den ockerfarbenen Hügeln ausging, all das gestattete der Seele, sich mit den verborgenen Kräften der Natur eins zu fühlen.
Ramses verließ kaum den Bug des Schnellbootes, das ihn nach Abu Simbel brachte. Er hatte seinen Geleitschutz so klein wie möglich gehalten und selbst die Besatzung ausgesucht: unermüdliche und überaus fähige Schiffer, die mit den Gefahren des Nils vertraut waren.
Nicht weit vor dem
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