Im Schatten der Akazie
an das ehrwürdige Alter Nebous erinnert, und der Oberpriester des Amun war in seiner bescheidenen Wohnung neben dem heiligen See von Karnak in der Gewißheit entschlafen, dem verborgenen Gott und Quell allen Lebens sowie seinem Vertreter auf Erden, dem Pharao Ramses, treu gedient zu haben.
Bakhen, der Zweite Prophet des Amun, hatte den König sogleich davon in Kenntnis gesetzt, und dieser war gekommen, um Nebou zu ehren, einen jener Männer, dank deren die ägyptische Tradition fortdauerte, wie sehr die Mächte des Bösen sie auch angreifen mochten.
Stille Trauer lastete über der weitläufigen Tempelanlage von Karnak. Nachdem Ramses das Morgenritual abgehalten hatte, traf er Bakhen neben dem riesigen Skarabäus an, der an der nordwestlichen Ecke des Sees die Wiedergeburt der Sonne 359
nach ihrem Sieg über die Finsternis symbolisierte.
»Die Zeit ist gekommen, Bakhen. Seit wir vor vielen Jahren gegeneinander gekämpft haben, bist du einen weiten Weg gegangen, ohne jemals an dich selbst zu denken. Daß die Tempel von Theben so prächtig sind, haben sie zum Teil dir zu danken. Deine Verwaltung ist untadelig, und jeder beglückwünscht sich zu deinen unbestrittenen Fähigkeiten bei der Führung dieser Heiligtümer. Ja, die Zeit ist gekommen, dich zum Oberpriester von Karnak und Ersten Propheten des Amun zu ernennen.«
Die ernste und rauhe Stimme des ehemaligen Aufsehers über die Pferdeställe zitterte vor Aufregung.
»Majestät, ich glaube nicht … Nebou, der …«
»Nebou hat dich schon vor langem als seinen Nachfolger vorgeschlagen, und er wußte die Menschen einzuschätzen. Ich überreiche dir den Stab und den goldenen Ring, die Insignien deiner neuen Würde. Du wirst über diese heilige Stadt herrschen und darüber wachen, daß sie ihre Pflichten nicht vernachlässigt.«
Und schon fand Bakhen seine Fassung wieder. Ramses spürte, wie er unverzüglich das Joch seiner unzähligen neuen Obliegenheiten auf sich nahm, ohne an das Ansehen zu denken, das ihm ein so begehrter Titel einbrachte.
»Mein Herz vermag nicht zu schweigen, Majestät. Hier, im Süden, entrüsten sich manche Würdenträger über deine Entscheidung.«
»Meinst du den Besuch des Königspaares von Hatti?«
»So ist es, Majestät.«
»Mehrere Würdenträger des Nordens teilen ihre Auffassung, aber diese Reise wird stattfinden, weil sie den Frieden stärken wird.«
»Viele Priester möchten das Orakel befragen lassen. Wenn 360
Amun dir sein Einverständnis erteilt, wird jeder Widerspruch verstummen.«
»Dann bereite die Zeremonie vor, Bakhen.«
Der Empfehlung eines Verwalters im Harim von Mer-Our folgend, hatte Maat-Hor an die richtige Tür geklopft: an die eines reichen syrischen Kaufmanns, dem nichts entging, was sich in Theben ereignete. Er bewohnte ein prächtiges Anwesen auf dem östlichen Ufer, unweit des Tempels von Karnak, und empfing die Königin in einem Saal mit zwei Säulen, die aufgemalte Kornblumen und Iris zierten.
»Welche Ehre, Majestät, für einen einfachen Händler!«
»Diese Unterredung hat nicht stattgefunden, und wir sind einander nie begegnet. Ist das klar?«
Die Hethiterin überreichte dem Syrer eine goldene Halskette, für die er sich lächelnd verneigte.
»Wenn du mir die Hilfe verschaffst, die ich brauche, werde ich sehr großzügig sein.«
»Was wünschst du?«
»Ich möchte alles über das Orakel des Amun wissen.«
»Das Gerücht ist bestätigt worden: Ramses wird es zu Rate ziehen.«
»Weshalb?«
»Er bittet den Gott um Zustimmung zu dem Besuch deiner Eltern in Ägypten.«
Der Zufall meinte es gut mit Maat-Hor. Somit hatte das Schicksal den größten Teil der Arbeit bereits getan, sie brauchte sie nur noch zu Ende zu führen.
»Falls Amun ablehnt?« fragte sie.
»Dann muß Ramses sich ihm beugen … Und ich wage nicht, mir vorzustellen, wie der König von Hatti das aufnehmen wird.
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Aber ist der Pharao nicht der Bruder der Götter? Die Antwort des Orakels wird bestimmt nicht ungünstig ausfallen.«
»Genau das verlange ich aber.«
»Was …?«
»Ich sage es dir noch einmal: Hilf mir, und du wirst sehr reich werden. Auf welche Weise antwortet der Gott?«
»Priester tragen die Barke des Amun, und der Erste Prophet befragt den Gott. Bewegt sich die Barke vorwärts, bedeutet das
‹ja›, bewegt sie sich nach hinten, ‹nein›.«
»Bestich die Barkenträger, so daß Amun Ramses’ Vorschlag zurückweist.«
»Das ist unmöglich.«
»Sieh zu, daß die wankelmütigen Männer durch
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