Im Schatten der Akazie
Was Maat-Hor betrifft, die Haiti nicht liebte, so hoffe ich, daß sie ihre Wahlheimat, in die sie so gerne ziehen wollte, von Tag zu Tag mehr zu schätzen weiß. Mit zunehmendem Alter wird sie auch vernünftiger werden.«
Damit hatte Hattuschili das Schicksal der beiden hethitischen Prinzessinnen besiegelt. Nun, im vierzigsten Regierungsjahr von Ramses, gab es keine einzige Unstimmigkeit mehr zwischen Hatti und Ägypten, und die Freude darüber spiegelte sich in den leuchtenden braunen Augen Königin Puduchebas wider.
Die Pylonen, Obelisken, Kolossalstatuen, die großen Höfe mit ihren Säulengängen, die Opferszenen und die mit Silber belegten Fußböden zogen Hattuschili in ihren Bann. Doch er wollte auch das Haus des Lebens, die Speicher, Stallungen, Küchen sowie die Amtsstuben der Schreiber sehen. Von seinen Unterredungen mit dem Wesir und den Inhabern der höchsten Staatsämter kehrte der König von Hatti tief beeindruckt wieder: 368
Der Aufbau des ägyptischen Gemeinwesens war ebenso großartig wie die Bauweise der Tempel.
Ramses lud Hattuschili ein, Weihrauch zu verbrennen, um die Götter zu erfreuen und sie in die Wohnstätten zu locken, die die Menschen ihnen errichtet hatten. Die Königin nahm am Ritual zur Beschwichtigung gefährlicher Mächte teil, das Kha mit gewohnter Strenge leitete. Dann folgte noch der Besuch weiterer Tempel von Pi-Ramses, insbesondere der Heiligtümer, die fremdländischen Göttern geweiht waren. Anschließend genoß der König von Hatti in den Gärten des Palastes einen Augenblick der Ruhe.
»Es wäre bedauerlich gewesen, wenn die hethitische Armee eine so schöne Stadt zerstört hätte«, versicherte er Ramses.
»Auch die Königin ist von ihrem Aufenthalt hier begeistert.
Gewährt mir mein Bruder in Anbetracht des Friedens, der jetzt zwischen uns herrscht, ihn um eine Gunst zu bitten?«
Ramses hatte sich schon über Hattuschilis verhältnismäßig geringen Tatendrang zu wundern begonnen. Gewann im Kampf gegen den Zauber von Ägypten nun doch der Feldherr in ihm die Oberhand?
»Die Königin und ich sind von all der Pracht wie geblendet, aber zuweilen muß man auch an weniger angenehme Wirklichkeiten denken«, fuhr Hattuschili fort. »Wir haben ein Abkommen unterschrieben, in dem wir uns gegenseitigen Beistand zusichern, falls eines unserer Länder von einem dritten angegriffen werden sollte, und ich würde gerne den Zustand der ägyptischen Armee in Augenschein nehmen.
Gestattet mir der Pharao, die Hauptkaserne von Pi-Ramses zu besichtigen?«
Falls Ramses sich nun hinter »militärischen Geheimnissen«
verschanzte oder ihn in eine zweitrangige Kaserne führte, dann wußte Hattuschili, daß er zu einem heimtückischen Schlag ausholte. Damit war der Augenblick der Wahrheit gekommen, 369
um dessentwillen er sich auf diese Reise eingelassen hatte.
»Merenptah, mein jüngster Sohn, ist der Oberbefehlshaber der ägyptischen Armee. Er wird dem König von Hatti die Hauptkaserne von Pi-Ramses zeigen.«
Nach einem zu Ehren der Königin Puducheba gegebenen Gastmahl ergingen sich Hattuschili und Ramses ein wenig am Rande des Wasserbeckens, auf dem sowohl blauer als auch weißer Lotos schwamm.
»Ich empfinde ein Gefühl, das ich bislang nicht kannte: Vertrauen«, gestand Hattuschili. »Allein Ägypten vermag Menschen von deiner Größe hervorzubringen, mein Bruder Ramses … Daß es dir gelungen ist, echte Freundschaft zwischen zwei Herrschern zu schaffen, die ehedem bereit waren, einander zu vernichten, das grenzt an ein Wunder. Aber wir werden älter, du wie ich, und müssen an unsere Nachfolge denken … Wen hast du unter deinen unzähligen ‹Söhnen des Königs› dafür ausersehen?«
»Kha ist ein Mann der Wissenschaft, tiefsinnig und umsichtig; er versteht es, unter allen Umständen Gemüter zu beschwichtigen und zu überzeugen, ohne zu kränken; er würde die Einheit des Königreiches zu bewahren wissen und seine Entscheidungen sorgsam abwägen. Merenptah ist beherzt, kann führen und befehlen und ist bei Offizieren und Soldaten ebenso beliebt, wie er bei hohen Beamten gefürchtet ist. Beide eignen sich dazu, das Land zu regieren.«
»Mit anderen Worten: Du hast dich noch nicht entschieden.
Das Schicksal wird dir ein Zeichen senden. Bei solchen Männern ist mir um die Zukunft Ägyptens nicht bange. Sie werden dein Werk fortsetzen.«
»Und wie ist es um deine Nachfolge bestellt?«
»Die wird ein unter anderen Schwächlingen ausgewählter Schwächling antreten.
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