Im Schatten der Akazie
dem er geboren ist. Kümmere dich um die Libyer, Merenptah, nicht 355
um die Hebräer.«
Der jüngere Sohn des Königs beließ es dabei. Auch wenn er von der dargelegten Meinung seines Vaters nicht überzeugt war, beugte er sich seiner Pflicht zu gehorchen.
»Wir haben Nachricht von deinem Bruder Hattuschili erhalten«, verkündete Ameni.
»Gute oder schlechte?«
»König Hattuschili denkt noch nach.«
Obgleich die Sonne erbarmungslos brannte, fröstelte Hattuschili. Innerhalb der dicken Steinmauern seiner Zitadelle wurde ihm nie warm. Den Rücken der Feuerstelle zugewandt, in der Holzscheite prasselten, las er seiner Gemahlin Puducheba aufs neue die Vorschläge des Pharaos von Ägypten vor.
»Ramses ist von unglaublicher Dreistigkeit! Ich sende ihm ein Schreiben voller Rügen, und er wagt es, mir zu antworten, ich möge ihm eine andere hethitische Prinzessin schicken, um mit einer erneuten diplomatischen Eheschließung den Frieden zu festigen. Und es kommt noch besser: Ich möge mich in eigener Person nach Ägypten begeben!«
»Eine herrliche Idee«, fand Königin Puducheba. »Dieser Besuch wird in augenfälliger Weise zeigen, daß der zwischen unseren zwei Völkern geschlossene Frieden unumkehrbar ist.«
»Das ist doch nicht dein Ernst! Ich, der König der Hethiter, soll wie ein Untertan vor dem Pharao erscheinen?«
»Niemand verlangt von dir, daß du dich demütigst. Sei gewiß, daß wir mit allen Ehren empfangen werden, die unserem Rang zustehen. Der Brief mit der Zusage ist bereits abgefaßt, du brauchst nur noch dein Siegel aufzudrücken.«
»Die Sache muß noch überdacht und besprochen werden.«
»Die Zeit der Palaver ist zu Ende, bereiten wir uns darauf 356
vor, nach Ägypten aufzubrechen!«
»Hast du dich etwa an die Spitze des hethitischen Gesandtschaftswesens gesetzt?«
»Meine Schwester Nefertari und ich haben den Frieden gestiftet, möge König Hattuschili ihn festigen!«
Voller Inbrunst dachte Puducheba an den verführerischsten Mann, den sie je kennengelernt hatte: an Acha, Ramses’
Freund aus Kindertagen, der nun im Paradies der Gerechtfertigten lebte. Für ihn war dieser Tag ein Freudentag.
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EINUNDFÜNFZIG
LS MAAT-HOR DIE Neuigkeit erfuhr, die ganz Ä
A gypten in helle Aufregung versetzte: die amtliche Ankündigung des Besuches ihrer Eltern, da glaubte sie, bei Hof wieder in Gnaden aufgenommen zu werden. Sie führte zwar im Harim Mer-Our ein angenehmes, sorgloses Leben und genoß, ohne dessen überdrüssig zu werden, die zahllosen Freuden ihres Standes, aber sie herrschte nicht und war nur eine Scheingemahlin, der jedwede Macht versagt blieb.
Deshalb schickte die Hethiterin einen langen Brief an Ameni, den Obersten Schreiber des Herrschers. In scharfen Worten erhob sie Anspruch darauf, als Große königliche Gemahlin den König und die Königin von Hatti zu empfangen, und forderte eine Eskorte an, die sie in den Palast von Pi-Ramses zurückgeleiten sollte.
Die von Ramses unterschriebene Antwort traf sie wie ein Peitschenhieb: Maat-Hor sollte den Feierlichkeiten nicht beiwohnen und im Harim von Mer-Our bleiben.
Nach einem heftigen Wutausbruch überlegte die Hethiterin: Wie könnte sie Ramses mehr schaden, als wenn sie verhinderte, daß Hattuschili kam? Von diesem Gedanken wie besessen, sorgte sie dafür, einem Diener des Krokodilgottes zu begegnen, der in dem Ruf stand, ein guter Ritualpriester zu sein.
»In Hatti«, so sagte sie zu ihm, »befragen wir oft die Seher nach unserer Zukunft. Sie lesen in den Eingeweiden der Tiere.«
»Ist das nicht ein wenig … derb?«
»Benutzt ihr andere Methoden?«
»Es ist Sache des Pharaos, das Morgen vorherzusehen.«
»Aber ihr Priester, ihr bewahrt doch das geheime Wissen und 358
kennt sicher manche Verfahren.«
»Es gibt eine kleine Gemeinschaft von Staatsmagiern, Majestät, aber deren Ausbildung ist langwierig und mühevoll.«
»Zieht ihr denn nicht die Götter zu Rate?«
»Unter bestimmten Umständen befragt der Oberpriester des Amun mit der Erlaubnis des Königs die schöpferische Macht, und der Gott antwortet durch sein Orakel.«
»Und dieser Entscheidung beugt sich wohl jeder.«
»Wer wollte es wagen, gegen den Willen Amuns aufzubegehren?«
Sobald sie die innere Abwehr des Priesters spürte, behelligte Maat-Hor ihn nicht länger.
Noch am selben Tag befahl sie ihren Bediensteten, ihre Abwesenheit nicht zu melden, und begab sich auf den Weg nach Theben.
Der Tod mit dem sanften Lächeln hatte sich letzten Endes
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