Im Schatten der Akazie
annehmen. Und du versetzt unsere Streitkräfte in Alarmbereitschaft.«
»Ich schwöre dir, daß es libysche Banditen waren«, wiederholte Der-mit-den-schönen-Schenkeln dem schlaftrunkenen Grenzwächter.
»Was du da daherredest, Kleiner! Hier in der Gegend gibt es keinen einzigen Libyer.«
»Ich bin so gerannt, daß ich ganz außer Atem war. Sie wollten mich umbringen! Wenn ich nicht der schnellste Läufer weit und breit wäre, hätten sie mich erwischt. Sie trugen Helme, Harnische, Schwerter, Lanzen … Eine richtige Armee!«
Nachdem der Grenzwächter einige Male gegähnt hatte, blickte er den jungen Mann grimmig an.
»Das starke Bier steigt einem in den Kopf … Hör auf zu trinken! Säufer nehmen ein schlechtes Ende.«
»Weil Vollmond ist«, redete Der-mit-den-schönen-Schenkeln beharrlich weiter, »habe ich ihren Anführer sogar genau gesehen, bevor ich davongelaufen bin. Ein Koloß von Mann mit langer, wallender Mähne und dicht behaarter Brust.«
Bei dieser Beschreibung wurde der Beamte hellwach. Wie alle Zöllner und Offiziere der Armee sowie der sonstigen Sicherheitskräfte hatte auch er eine Zeichnung bekommen, die den Verbrecher Uriteschup darstellte, und demjenigen, der zur Festnahme des Hethiters beitrug, wurde eine hohe Belohnung versprochen.
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Der Grenzwächter hielt dem jungen Mann das Bildnis vor die Nase.
»War es etwa der?«
»Ja, das ist ihr Anführer!«
Entlang der Wüste im Westen des Deltas hatte die Verwaltung des Heeres Festungen errichten lassen, zu deren Füßen kleine Dörfer entstanden waren. Sie lagen etwa eine Tagesreise mit dem Streitwagen oder zwei Tage schnellen Fußmarsches auseinander, und ihre Besatzungen hatten Order, bei der kleinsten verdächtigen Bewegung der Libyer die Generäle in Pi-Ramses und Memphis zu benachrichtigen. Wenn es einen Landstrich gab, der bei der Obrigkeit als streng bewacht galt, dann war es dieser.
Als der im Dienste der Armee stehende Statthalter der Grenzregion einen beunruhigenden Bericht erhielt, der auf den Aussagen eines fliegenden Händlers beruhte, hütete er sich wohlweislich, ihn an seine Vorgesetzten weiterzuleiten. Er hatte Angst, sich damit lächerlich zu machen. Die Möglichkeit, Uriteschup vielleicht festzunehmen, bewog ihn dennoch dazu, einen kleinen Trupp zu der Stelle zu schicken, an welcher der Hethiter angeblich gesehen worden war.
Deshalb waren Nakti und seine Männer aus ihrer Beschaulichkeit gerissen worden und drangen nun im Eilmarsch in eine unwirtliche, von Stechmücken heimgesuchte Gegend vor. Dabei hatten sie nur einen Gedanken im Kopf: diese lästige Mission so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Nakti schimpfte bei jedem Schritt. Wann würde man ihn endlich nach Pi-Ramses versetzen, in eine behagliche Kaserne, anstatt ihn hier nicht vorhandene Feinde verfolgen zu lassen?
»Festung in Sicht, Hauptmann!«
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»Die Grenzwachen«, so dachte Nakti, »werden uns womöglich für Dummköpfe halten, uns aber wenigstens etwas zu essen und zu trinken anbieten, und gleich morgen früh machen wir uns auf den Rückweg.«
»Vorsicht, Hauptmann!«
Ein Soldat zog Nakti zurück. Auf dem Weg hockte ein riesiger schwarzer Skorpion, bereit zum Angriff. Wäre der ganz in seinen Gedanken verlorene Offizier weitergegangen, hätte er ihn gestochen.
»Töte ihn«, befahl der Mann seinem Retter.
Der Soldat kam jedoch nicht einmal mehr dazu, seinen Bogen zu spannen. Pfeile schwirrten von den Zinnen der Festung und bohrten sich den Ägyptern ins Fleisch. Mit der Zielgenauigkeit geübter Schützen streckten die von Uriteschup befehligten Libyer Nakti und seinen ganzen Trupp nieder.
Denen, die nur verletzt waren, schnitt Uriteschup mit seinem eisernen Dolch eigenhändig die Kehle durch.
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VIERUNDFÜNFZIG
IE JEDEN MORGEN begab sich der Statthalter der W Grenzregion in seine Amtsstube, um die aus den Festungen eingetroffenen Berichte zu lesen. Für gewöhnlich war dies schnell erledigt, denn auf den Holztäfelchen stand ein und derselbe Vermerk: »Nichts zu melden«.
An diesem Morgen lag jedoch kein Bericht vor.
Er brauchte nicht weit zu gehen, um den Schuldigen zu finden: Der Soldat, dem es oblag, ihm die amtlichen Sendschreiben zu bringen, mußte versäumt haben, rechtzeitig aufzustehen. Wütend nahm sich der Statthalter vor, ihn seiner Ämter zu entheben und ihn zum Wäschebleicher zu machen.
Im Hof der Festung schwang ein Mann lustlos einen Besen, indes zwei junge Fußsoldaten sich in der Handhabung des
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