Im Schatten der Akazie
königliche Gemahlin sie zur Eile angetrieben hatte, würden sie höher entlohnt werden und in den Genuß zusätzlicher Ruhestunden kommen.
Die Königin betrat einen wahren Bienenstock. Die zwanzig Schreiber, aus denen sich Amenis ausgewählter Stab zusammensetzte, bearbeiteten eine ansehnliche Zahl von 105
Vorgängen und konnten keinen Augenblick Zeit mit Geplauder vergeuden. Da hieß es lesen, Berichte für den Obersten Schreiber des Königs verfassen, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden, archivieren und nicht in Verzug geraten.
Iset schritt durch den mit Säulen geschmückten Saal. Manche Beamte hoben nicht einmal den Kopf. Als sie Amenis Amtszimmer betrat, kaute er gerade an einer mit Gänseschmalz bestrichenen Scheibe Brot und verfaßte dabei einen Brief, in dem er einen Speicheraufseher zurechtwies.
Verwundert erhob sich der Sandalenträger des Pharaos.
»Majestät …«
»Bleib sitzen, Ameni. Ich muß mit dir reden.«
Die Königin schloß die hölzerne Tür der Amtsstube und schob den Riegel vor. Der Schreiber fühlte sich unbehaglich.
Sosehr er Nefertari bewundert hatte, so wenig konnte er Iset ausstehen, mit der er bereits aneinandergeraten war. Entgegen ihrer Gepflogenheit zeigte sie sich nicht von ihrer vorteilhaftesten Seite. Die Augen waren ohne Glanz, und keine kunstvoll aufgetragene Schminke täuschte über die müden Züge ihres Gesichts hinweg.
»Ich brauche unbedingt deine Hilfe, Ameni.«
»Ich weiß nicht, Majestät …«
»Hör auf, mir etwas vorzumachen. Mir ist keineswegs entgangen, daß der Hof erleichtert wäre, wenn der Pharao mich verstieße.«
»Majestät!«
»Es ist so, und ich kann daran nichts ändern. Duweißt doch immer alles, sag mir, was das Volk denkt.«
»Das ist recht schwierig …«
»Ich möchte die Wahrheit erfahren …«
»Du bist die Große königliche Gemahlin, an dir darf keinerlei 106
Kritik geübt werden.«
»Die Wahrheit, Ameni!«
Der Schreiber senkte den Blick, als richte er seine ganze Aufmerksamkeit auf einen Papyrus.
»Man muß Verständnis für das Volk haben, Majestät, es hat sich an den Frieden gewöhnt.«
»Das Volk liebte Nefertari und schätzt mich nicht sehr. Das ist doch die Wahrheit, die du mir zu verhehlen suchst.«
»Es sind die Umstände, Majestät.«
»Sprich mit Ramses, sag ihm, daß ich mir des Ernstes der Lage bewußt bin und daß ich bereit bin, das Opfer zu bringen, um einen Krieg zu verhindern.«
»Ramses hat seine Entscheidung getroffen.«
»Dringe in ihn, Ameni, ich flehe dich an.«
Der Oberste Schreiber des Königs war von Isets Aufrichtigkeit überzeugt. Zum erstenmal erschien sie ihm würdig, die Königin von Ägypten zu sein.
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FÜNFZEHN
ESHALB SCHIEBST DU deine Abreise hinaus?«
»W fragte König Hattuschili den ägyptischen Gesandten.
»Weil ich immer noch hoffe, dich umzustimmen.«
Trotz seines wollenen Mantels und einer warmen Mütze fürchtete der Herr über das Hethiterreich die eisigen Winde, die über die Befestigungsmauern seiner Hauptstadt fegten. Auch Acha spürte, wie die beißende Kälte sogar durch seinen dicken Umhang drang.
»Das ist unmöglich, Acha.«
»Läßt du es wirklich wegen einer Frau zu einem völlig unnötigen Krieg kommen? Troja hat uns doch schon gezeigt, wohin das führt. Weshalb müssen wir Sklaven eines mörderischen Wahns werden? Die Königinnen sollen Leben schenken und nicht Tod bringen.«
»Deine Einwände sind vortrefflich, aber so ägyptisch! Hatti würde mir nie verzeihen, wenn ich das Gesicht verlöre. Scheue ich vor Ramses zurück, wackelt mein Thron.«
»Niemand bedroht dich.«
»Wenn mein Verhalten die hethitische Armee demütigt, sind meine Tage gezählt. Wir sind ein kriegerisches Volk, Acha.
Und du kannst sicher sein, der Tyrann, der nach mir kommt, wird schlimmer sein als ich.«
»Ramses liegt viel daran, daß deine Herrschaft von Dauer ist, Majestät.«
»Kann ich dir glauben?«
»Ich beschwöre es, bei dem, was mir am teuersten ist: beim Leben von Ramses.«
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Die beiden Männer taten ein paar Schritte auf dem von Wachtürmen gespickten Wehrgang, der um die Hauptstadt herumführte. Überall war die Armee zugegen.
»Bist du es nicht leid, Krieg zu führen, Majestät?«
»Die Soldaten stören mich zwar, aber ohne sie würde Hatti untergehen.«
»Die Ägypter finden keinen Geschmack am Kämpfen. Sie halten mehr von der Liebe und vom Tempelbauen. Sollte die Schlacht bei Kadesch nicht der Vergangenheit angehören?«
»Acha, zwinge mich
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