Im Schatten der Akazie
strahlend schöne Nubierin auf.
»Aber … Wer ist diese Frau?«
»Dreh dich nicht um, Schiffsführer«, befahl Setaous tiefe Stimme. »Hinter dir befindet sich eine Kobra.«
»Das stimmt«, bestätigte die Herrin Cherit.
»Wer bist du?« fragte der Schiffer.
»Ein Abgesandter des Pharaos. Meine Aufgabe bestand darin, deinen Betrügereien ein Ende zu setzen, doch ich möchte auch den Namen deines Herrn erfahren.«
Der Kapitän vermeinte, Opfer eines Alptraums zu sein. Über ihm brach die Welt zusammen.
»Den Namen deines Herrn …«, wiederholte Setaou.
Der Mann wußte, daß er ein hartes Urteil zu gewärtigen hatte, doch er würde nicht der einzige sein, der eine Strafe über sich ergehen lassen mußte.
»Ich habe ihn nur einmal gesehen.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Ja … Er heißt Ameni.«
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Setaou verschlug es die Sprache. Er tat ein paar Schritte, dann blieb er vor dem Schiffsführer stehen.
»Beschreibe ihn!«
Endlich sah der Kapitän den Mann, der ihn festnehmen wollte. Das war also die Kobra! Überzeugt, daß Setaou das Kriechtier nur erfunden hatte, um ihm angst zu machen, drehte er sich um und wollte fliehen.
Die Schlange schnellte vor und biß ihn in den Hals. Vor Schmerz und Aufregung verlor der Schiffer das Bewußtsein und sackte zusammen.
In der Annahme, daß der Weg nun frei sei, versuchte Cherit in den Garten zu laufen.
»Nein!« schrie Lotos, die davon überrascht worden war.
Da biß die zweite Kobra, ein Weibchen, die hübsche dunkelhaarige Frau genau in dem Augenblick, da sie über die Schwelle ihres Hauses rannte, in die Lende. Mit stockendem Atem, das Herz wie in einem Schraubstock, kroch die Herrin Cherit noch ein Stück und krallte ihre Fingernägel ins Erdreich.
Dann blieb sie reglos liegen, während die Schlange langsam zu ihrem Gefährten zurückkehrte.
»Es gab keine Möglichkeit, die beiden zu retten«, bedauerte Lotos.
»Sie haben ihr Land bestohlen«, rief ihr Setaou ins Gedächtnis, »und die Richter im Jenseits werden keine Nachsicht walten lassen.«
Tief erschüttert setzte er sich schließlich hin.
»Ameni … Ameni hat sich bestechen lassen!«
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SECHSUNDZWANZIG
ER LETZTE BRIEF König Hattuschilis war ein M
D eisterwerk an mehrdeutiger Umschreibung. Ramses hatte ihn ein dutzendmal gelesen und konnte sich noch immer keine Meinung darüber bilden. Wollte der Herrscher der Hethiter den Frieden oder den Krieg? Wünschte er seine Tochter noch mit Ramses zu vermählen, oder hüllte er sich in gekränkte Würde?
»Was hältst du davon, Ameni?«
Der Sandalenträger und Oberste Schreiber des Königs hatte trotz der großen Nahrungsmenge, die er im Laufe eines Tages zu sich nahm, anscheinend an Gewicht verloren. Nach einer gründlichen Untersuchung hatte ihm die Heilkundige Neferet versichert, daß er an keiner ernsthaften Krankheit leide, sich aber weniger überanstrengen sollte.
»Acha fehlt uns; er wüßte dieses seltsame Geschreibsel zu deuten.«
»Und was meinst du?«
»Obgleich ich eher dazu neige, die Dinge von ihrer düsteren Seite zu sehen, habe ich das Gefühl, daß Hattuschili eine Tür öffnet. Morgen beginnt dein Fest der Erneuerung; die Magie wird dir die Antwort bescheren.«
»Ich freue mich auf die Begegnung mit den Göttern und Göttinnen.«
»Kha hat in bewundernswerter Weise für alles vorgesorgt«, meinte Ameni. »Es wird an nichts fehlen. Und Setaou hat soeben wiederholten, von langer Hand vorbereiteten Diebstählen ein Ende gesetzt. Die Gegenstände, deren er dabei habhaft geworden ist, sind bereits in Pi-Ramses.«
»Und die Täter?«
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»Die sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ihr Fall wird noch dem Wesir vorgelegt, der wahrscheinlich entscheiden wird, daß ihre Namen auszulöschen sind.«
»Ich ziehe mich bis zum Morgengrauen zurück.«
»Möge dein Ka dich erleuchten, Majestät, und möge deine Sonne über Ägypten erstrahlen!«
Diese Nacht des zur Neige gehenden Sommers war warm und klar. Wie die meisten seiner Landsleute hatte Ramses beschlossen, im Freien zu schlafen, auf dem Dach des Palastes.
Er lag auf einer einfachen Matte und beobachtete den Himmel, an dem die Seelen der Licht gewordenen Pharaonen glänzten.
Die Achse des Weltalls verlief durch den Polarstern, und um ihn herum schimmerte ein Hof aus unvergänglichen Sternen.
Seit dem Zeitalter der Pyramiden beschäftigten sich die Weisen in Gedanken mit diesem Himmel.
Mittlerweile fünfundfünfzig Jahre alt, hielt Ramses nach dreiunddreißig
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