Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
Vom Netzwerk:
vierundzwanzig Ellen hohen Pylonen aus Granit erhoben sich Obelisken und Kolossalstatuen, die gleich jenen von Abu Simbel den königlichen Ka symbolisierten. Beim Bau seiner Hauptstadt hatte Ramses von Anfang an den Platz für diesen Tempel vorgesehen, als ob er damals schon daran geglaubt hätte, daß ihm beschieden sein würde, länger als dreißig Jahre zu regieren.
    Zwei Priester in Schakalmasken empfingen den Herrscher.
    Der eine stellte den »Offner der Wege« des Südens dar, der andere den des Nordens. Sie führten Ramses durch einen Saal mit zwanzig Ellen hohen Säulen in den Saal der Stoffe. Hier entkleidete sich der König und zog ein Leinenhemd an, das oberhalb der Knie endete und Ähnlichkeiten mit einem Grabtuch aufwies. Mit der linken Hand umklammerte Ramses den Hirtenstab, indes die rechte die Geißel mit den drei Riemen hielt, die an die dreifache Geburt des Pharaos erinnerten: in der Unterwelt, auf Erden und im Himmel.
    Ramses hatte schon so manchen körperlichen Prüfungen standgehalten, ob das nun seine Begegnung mit dem wilden Stier war oder die Schlacht bei Kadesch, wo er es, allein auf weiter Flur, mit Tausenden kriegerischer Hethiter hatte aufnehmen müssen.
    Das Fest der Erneuerung stellte ihn jedoch vor eine andere Art von Kampf, bei dem auch unsichtbare Kräfte ins Spiel kamen. Nach seinem symbolischen Tod und der Rückkehr ins Unerschaffene, aus dem er hervorgegangen war, sollte Ramses aus der Liebe der Götter und Göttinnen neu geboren werden und seine eigene Nachfolge antreten. Durch diesen magischen Vorgang wob er unzerstörbare Bande zwischen seinem 193

    sinnbildhaften Wesen und seinem Volk sowie zwischen seinem Volk und der Gemeinschaft aller schöpferischen Mächte.
    Die beiden Priester in der Schakalmaske geleiteten den König in einen großen, nicht überdachten Hof, der an den Hof des Pharaos Djoser in Sakkara erinnerte. Das war Khas Werk, der die alte Baukunst so sehr bewunderte, daß er im Tempel der Erneuerung seines Vaters diese an längst vergangene Zeiten gemahnende Stätte hatte nachbilden lassen.
    Hier kam sie ihm entgegen.
    Sie, Merit-Amun, Nefertaris Tochter, Nefertari selbst, zu neuem Leben erwacht, um Ramses zu neuem Leben zu erwecken. Strahlend schön, in einem langen weißen Kleid, mit einer schlichten Halskette aus Gold und auf dem Haupt die zwei hohen Federn, stellte sich die Große königliche Gemahlin hinter den Herrscher. Während des gesamten Rituals würde sie ihn durch die Magie des Wortes und des Gesangs beschützen.
    Kha entzündete die Flamme, die nicht nur die Statuen der Götter und ihre Kapellen beleuchtete, sondern auch den Thron, auf dem Ramses Platz nehmen würde, sobald er die Prüfungen siegreich bestanden hatte. Dem Oberpriester stand der Rat der Großen Ober- und Unterägyptens hilfreich zur Seite, dem Setaou und Ameni ebenso angehörten wie der Oberpriester von Karnak, der Wesir, die Oberste Heilkundige des Königreichs, Neferet, sowie mehrere »Söhne und Töchter des Königs«.
    Wieder nüchtern, wollte Setaou nicht mehr an Amenis schändliches Verhalten denken. Jetzt war nur das Ritual wichtig, das untadelig vollzogen werden mußte, um Ramses’
    Lebenskraft zu erneuern.
    Die Großen Ober- und Unterägyptens warfen sich vor dem Pharao nieder. Dann wuschen ihm Setaou und Ameni, die sich der Ehrentitel »einzige Freunde des Königs« rühmen durften, die Füße. Dank dieser rituellen Reinigung würden sie ihn durch alle Räume tragen, über Wasser, Erde oder Feuer. Das Gefäß, 194

    das die läuternde Flüssigkeit enthalten hatte, wies die Form der Hieroglyphe sema auf, des aus Herz und Luftröhre gebildeten Zeichens für »Einheit«, wodurch dieses geheiligte Wasser den Pharao zum Einiger seines Volkes machte.
    Kha hatte die Zeremonien so vollendet vorbereitet, daß die Tage und Nächte des Festes wie im Fluge vergingen.
    Wegen des eng am Körper anliegenden Gewandes konnte Ramses nur langsam gehen, während er durch seinen Blick und die magische Formel »Opfer, das der Pharao gibt« den Speisen und Getränken auf den Altären der Götter ihre Wirksamkeit verlieh. Die Königin erfüllte die Aufgabe der himmlischen Kuh, der es oblag, den König mit der Milch der Sterne zu nähren, um Schwäche und Krankheit aus seinem Leib zu vertreiben.
    Ramses huldigte jeder Gottheit, auf daß die Vielfalt der Schöpfung gewahrt bleibe, die ihre Einheit speiste. Dabei legte er die jeder Form innewohnende unwandelbare Einzigartigkeit frei und verlieh jeder

Weitere Kostenlose Bücher