Im Schatten der Akazie
denn sie wagte nicht, die tiefe 247
Nachdenklichkeit des Königs zu stören. Doch ungeachtet der Würde des Ortes und des Augenblicks erregten Ramses’
Erscheinung und seine Macht sie in ihrem tiefsten Inneren.
Welche Prüfungen sie auch bestehen mußte, sie würde ihr Ziel erreichen und ihn betören.
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FÜNFUNDDREISSIG
ERRAMANNA WAR AM Ende seiner Geduld. Da weder L
S ist noch Sanftmut zu einem Ergebnis führten, hatte der sardische Riese beschlossen, von einem wirksameren Verfahren Gebrauch zu machen. Nachdem er sich an einem Stück Ochsenfleisch und Kichererbsen gütlich getan hatte, ritt er zu Teschonks Werkstatt.
Diesmal würde der Libyer alles gestehen, was er wußte, insbesondere den Namen von Achas Mörder.
Als Serramanna vom Pferd stieg, wunderte er sich über die vielen Leute vor der Gerberei: Frauen, Kinder, Greise, Arbeiter, und alle redeten wild durcheinander.
»Macht hier Platz«, befahl der Sarde, »und laßt mich durch!«
Er brauchte es nicht zweimal zu sagen, und im Nu waren sie auch verstummt.
Drinnen herrschte wie immer unerträglicher Gestank, so daß Serramanna, der die Gewohnheit der Ägypter angenommen hatte, sich mit Duftölen einzureiben, nur zögernd eintrat. Der Anblick etlicher Gerber, die sich neben eingesalzenen Antilopenfellen zusammenscharten, bewog ihn indes dazu, weiter in diese ekelerregende Stätte vorzudringen. Er wich an Schnüren aufgehängten Akazienschoten aus, ging an einem ockerfarbenen irdenen Trog vorüber und legte zwei Lehrjungen seine riesigen Hände auf die Schultern.
»Was geht denn hier vor?«
Die beiden traten beiseite. Da entdeckte Serramanna den Leichnam von Teschonk, dessen Kopf in einer mit Urin und Vogelkot gefüllten Wanne hing.
»Ein Unfall, ein schrecklicher Unfall«, erklärte der Obergerber, ein untersetzter Libyer.
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»Wie ist das geschehen?«
»Das weiß niemand … Der Herr muß sehr früh gekommen sein, um zu arbeiten, und wir haben ihn dann so vorgefunden.«
»Gibt es einen Zeugen?«
»Nein.«
»Mich erstaunt das … Teschonk war ein erfahrener Handwerker. Keiner von der Sorte, die auf so dumme Weise ums Leben kommen. Nein, das war ein Verbrechen, und irgend jemand von euch weiß etwas darüber.«
»Du irrst«, widersprach der Obergerber halbherzig.
»Der Sache gehe ich selbst nach«, gelobte Serramanna. »Das verlangt nach einem scharfen Verhör.«
Da schlängelte sich der jüngste Lehrjunge wie ein Aal aus der Werkstatt und nahm Reißaus. Das Wohlleben hatte Serramannas Reflexe jedoch nicht träge gemacht, und er setzte ihm nach.
Der Junge kannte die schmalen Straßen des Handwerkerviertels zwar besser, doch der Vorsteher der Leibwache des Königs war so wendig, daß er ihn nicht aus den Augen verlor. Als der Lehrling über eine Mauer klettern wollte, bekam Serramanna ihn an seinem Schurz zu fassen und warf ihn in die Luft. Der Flüchtende stieß einen Schrei aus, dann schlug er hart auf dem Boden auf.
»Mein Kreuz … Ich habe mir das Kreuz gebrochen!«
»Das pflegst du, sobald du mir die Wahrheit verraten hast.
Und laß dir damit ja nicht zu lange Zeit, du Galgenstrick, sonst breche ich dir noch ein paar Knochen.«
In seiner Angst begann der Junge stockend zu sprechen.
»Ein Libyer hat unseren Herrn getötet … Ein Mann mit schwarzen Augen, kantigem Gesicht und gelocktem Haar … Er hat den Herrn einen Verräter geheißen … Der Herr hat aber gesagt, daß das nicht stimmt, und er hat geschworen, daß er dir 250
nichts erzählt hat … Aber der andere hat es ihm nicht geglaubt
… Er hat ihn gewürgt und ihm den Kopf in den Trog mit dem Vogelkot getaucht … Dann hat er sich zu uns umgedreht und uns gedroht: ‹Und euch bringe ich auch um, wenn ihr nicht den Mund haltet, so wahr ich Malfi heiße und der Anführer der Libyer bin …› Und jetzt bin ich so gut wie tot, weil ich dir alles gesagt habe!«
»Rede keinen Unsinn daher, Junge. Du setzt keinen Fuß mehr in deine Werkstatt und arbeitest künftig unter der Aufsicht des Palastverwalters.«
»Du … du schickst mich nicht ins Gefängnis?«
»Ich mag mutige Jungen. Los, steh auf!«
Schlecht und recht humpelte der Lehrling hinter dem Riesen her, der ziemlich verdrossen dreinsah. Zu seinem Ärger war also nicht Uriteschup derjenige gewesen, der Teschonk aus dem Weg geräumt hatte.
Aber war Uriteschup, der heimtückische Hethiter, nicht ein Bundesgenosse von Malfi, einem mordenden Libyer, einem Erbfeind Ägyptens …? Ja, das war es, was sich da
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