Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
langjährige Freunde, die sich nur schnell verabschiedeten, um sich bald wiederzusehen. Doch beiden war klar, dass die Wahrscheinlichkeit, sich morgen unter friedlichen Umständen zu treffen, denkbar gering war. Sie nickten sich noch einmal kurz zu. Dann wandte sich Seidel in Richtung Tür und verschwand in der Nacht.
Nikolaus stand noch geraume Zeit in der Stube und blickte zur Tür. Dieser unerwartete Besuch war ganz anders verlaufen, als er im ersten Augenblick vermutet hatte. Endlich hatte er einen Helfer gefunden, endlich hatte er einen Verbündeten, der seine Ansichten teilte. Nur war es jetzt leider viel zu spät. Dieses Gespräch hätte er gleich an dem Tag führen sollen, an dem Wilhelm gefunden worden war. Dann wäre die Suche nach dem Mörder bestimmt erfolgreicher verlaufen.
Niedergeschlagen setzte sich Nikolaus wieder an den Tisch. Er legte die Listen auf einen Stapel. Sie bewiesen zwar den Betrug durch den Großbauern Roden, gaben aber nicht den kleinsten Hinweis auf seine Schuld an den Morden. Genauso wenig halfen Wilhelms Sachen und Christinas Kleid weiter. Lustlos packte er alles zusammen und legte es neben die Dokumente. Er war in eine Sackgasse nach der anderen geraten und hatte sich immer weiter in den Schlamassel hineinmanövriert.
Nikolaus schniefte mehrfach. Irgendein merkwürdiger Geruch lag in der Luft. Er hatte nichts mit dem angenehmen Duft frisch gemahlenen Getreides gemeinsam oder den würzigen Ausdünstungen des Harzes in den Balken und Dielen, auch nicht mit dem moderigen Geruch des Mauerwerks, das im Wasser stand und von Algen zugewuchert war. Kam der Geruch durch die Fenster herein? Nikolaus drehte sich herum. Nein. Jetzt roch er gar nichts mehr. Er beugte sich vor. Es waren die Kleidungsstücke auf dem Tisch, die diesen Geruch ausströmten. Er war ihm nur vorher nicht aufgefallen. Was war das?
»Ist doch egal. Wer kann schon wissen, in welchem gammeligen Fass die Klamotten versteckt wurden, bevor sie mir untergeschoben wurden.«
Ärgerlich stieß er die Sachen zur Seite, und plötzlich fiel Christinas Messer auf den Boden. Seidel hatte vergessen, es wieder einzustecken. Ihm hinterherzulaufen war sinnlos. Nikolaus würde es in der Früh einfach hier zurücklassen. Dann konnten sich Rüth und Seidel darum streiten.
Jetzt galt es, seine Flucht zu planen. Am klügsten erschien es ihm, zu seiner Familie nach Kues zu fliehen – vielleicht hatte Vater noch eine Idee. Andernfalls musste er von dort aus weiterziehen, wohin auch immer. Er nahm seinen Geldbeutel und zählte sein Geld. Er fand die beiden Trierer Gulden. Die würden ihn erst einmal für eine längere Zeit über Wasser halten. Der vorherige Erzbischof von Trier, Werner von Falkenstein 18 , hatte sie prägen lassen.
Er betrachtete die wertvollen, im Kerzenlicht blinkenden Geldstücke genauer. Das eine war in Koblenz geprägt worden und zeigte auf der Vorderseite Johannes den Täufer. Auf der Rückseite war mittig das Wappen von Trier-Minzenberg und darüber die Schilde von Köln und Mainz. Das zweite stammte aus Wesel. Die Stadt war durch einen der vielen kostspieligen Kriege des Kurfürsten Werner von Falkenstein in dessen Einflussbereich geraten. Auch auf dieser Münze fand man Johannes den Täufer. Aber hier war auf der Kehrseite das falkensteinsche Wappen umgeben von den Wappen von Trier, Mainz, der Pfalz und Köln geprägt worden.
Nikolaus schob die Gulden neben Christinas Messer. Nachdenklich stützte er die Ellenbogen auf den Tisch und legte seinen Kopf in die Hände. Lange betrachtete er die drei Gegenstände. Schließlich schüttelte er unwillig den Kopf und packte sein Geld wieder zusammen. Er war zu müde, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können. Er brauchte unbedingt ein wenig Ruhe, damit er am Morgen klar genug im Kopf war, um auf seiner Flucht nicht gefasst zu werden. Dass der Hauptmann mit einer erlösenden Nachricht kam, glaubte er sowieso nicht. Was sollte Seidel in einer Nacht herausfinden, was er in mehreren Tagen nicht geschafft hatte?
Der junge Mann zog den zweiten Stuhl näher zu sich heran und legte seine Füße darauf. Hätte er sich jetzt in ein Bett gelegt, wäre er sicherlich erst bei vollem Tageslicht wieder aufgewacht. Aber in dieser ungemütlichen Position konnte er sicher sein, früh genug wach zu sein. Es wurde ein unruhiger Schlaf. Immer wieder schwirrten ihm das Messer und der Gulden durch den Kopf.
Die Schlinge zieht sich zu
Ein harter Schlag, und Nikolaus flog gegen den Tisch
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