Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
richtigen Zeitpunkt gewartet?
Kreaturen, die Murgon erblickte, duckten sich und schlichen davon. Andere wieder heulten auf, denn sie fürchteten sich. Murgon war der unumwundene Herrscher über die Höhlen, Grotten und unvorstellbar bizarren Gegenden unter der Erde. Wenn er in der Nähe war, machte man sich besser aus dem Staub. Auch Dämonen fürchteten sich.
Murgon blieb an einer Weggabelung stehen und betrachtete einen grünlich sprudelnden Wasserfall, dessen pulsierend weiche Flüssigkeit stank.
Die Erinnerung, wie er nach Unterwelt geholt worden war, war für ihn immens wichtig.
Nachdem er den Mord an seinem Vater begangen hatte, wusste er, dass er flüchten musste. Er suchte Katraana, doch er fand sie nicht, obwohl er seine magischen Fühler überall hin ausstreckte. Seine Verzweiflung wuchs ins Unermessliche. Wo war die kleine Katraana? Sie war der Grund für seine Untat gewesen. Wenn er sie nicht fand, war der Mord sinnlos gewesen. Sein Vater hatte ihm die eigene Tochter wegnehmen wollen. Kein Vater würde so etwas zulassen, auch Feiniel nicht. Er bettelte und versuchte, den Lord von Tal Solituúde zu erweichen, doch der Mann war gnadenlos. Feiniel konnte ihn nur aufhalten, indem er ihn tötete.
Erschöpft und verunsichert ließ er sich auf einer Bank nieder, auf weißem Marmor, wunderschön elfisch verarbeitet.
»Was nun?«, fragte er sich.
Im selben Moment spürte er, dass sich die Luft um ihn herum verdickte.
»Hole den Kasten. Bringe uns das Artefakt …«, wisperten eine Vielzahl Stimmen.
Feiniel gehorchte. Ihm war, als hätten die Stimmen seinen Geist, seine Handlungen übernommen. Er ging in den Palast und holte den Kasten. Er setzte sich wieder auf die Bank und seine Finger strichen über die Holzverzierungen. Dieser Kasten, den er zufällig gefunden hatte, war sein Schicksal: Er wusste es, es begriff es und er akzeptierte es. Jedermann fürchtete sich vor ihm, da alle annahmen, er stehe mit der Düsternis in Verbindung, was bisher nicht der Fall gewesen war.
Nun hatte er seinen Vater getötet. Gab es etwas Schlimmeres?
Nein!
Er, Feiniel, würde sich nicht länger so nennen. Er war Murgon von Unterwelt und er wartete darauf, was geschah.
Grauenvolle Wesen senkten sich flügelschlagend über ihn. Feiniel hob schützend seine Arme. Im selben Moment wusste er, wo er Katraana finden konnte. Sie hockte in einem Versteck, in einer kleinen Höhle. Dort würde er sie finden.
»Lasst ab!«, schrie er. »Zuerst muss ich meine Tochter holen! Das dauert nur wenige Minuten.«
Tausend Stimmen gleichzeitig brausten ein entsetzliches NEIN!
»Wegen ihr beging ich Vatermord. Sie ist meine Tochter und ich liebe sie.«
»Du kannst nicht lieben«, hörte er die Stimmen, jetzt waren es weniger. »Einer wie du liebt nur sich selbst. Und selbst das tust du nicht. Du machst dir etwas vor, Murgon von Unterwelt!«
Sie sprachen ihn mit dem Namen an, den er sich vor einer Minute im Stillen gegeben hatte. Wie konnten sie das?
»Wir sind wie du, doch du bist Dunkler. Du bist geschaffen, uns zu führen. Du bist jener, der die Wächter zurückholt. Du bist der Lord von Unterwelt.«
»Bitte, ich weiß, wo meine Tochter ist. Sie ist alles, was mir geblieben ist.«
»NEIN!«
Sie nahmen ihn auf, ohne ihm weh zu tun und trugen ihn fort. Unter sich sah Feiniel das Elfental entschwinden. Sie trugen ihn über das Meer und er fürchtete sich, sie würden ihn loslassen und er stürze unendlich tief, um auf der Wasseroberfläche zu zerschmettern. Andererseits wusste er auch, dass dem nicht so sein würde. Alles hatte seinen Sinn – seinen Grund, also überließ er sich den Klauen.
Katraana – ich weiß, wo du dich versteckst. Ich hätte dich geholt, zu mir geholt und wir wären gemeinsam weggegangen!
Diese Kreaturen wussten, dass er der Richtige war. Feiniel hielt das Artefakt vor seiner Brust, umklammerte es, um es nicht zu verlieren. Dieser Kasten war der Schlüssel, zu was auch immer. Dieser Kasten hatte seine Jungend zerstört – wie sollte er davon ablassen?
Die schwarzen Monster schossen hinab und tauchten ein in einen Wasserstrudel.
Nun sterbe ich!, dachte Feiniel
Ich werde ertrinken!
Doch so war es nicht.
Er zischte vorbei an Fratzen und weinende Gesichter, an bettelnden Zerrbildern, Ungestalten, Missbildungen und Tentakeln, die ihn greifen wollten. Innerhalb weniger Sekunden war er vorbei. Er fand sich in einer Höhle wieder und blickte um sich. Er rappelte sich auf und strich seine himmelblaue Robe –
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