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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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und diese Vorstellung hielt mich fest.
    Der Kutscher hatte das Wendemanöver gerade erfolgreich hinter sich gebracht, als einer der Wächter einen erstickten Schrei von sich gab und aus dem Sattel kippte. Mit einem grässlich knirschenden Geräusch landete er auf dem Pflaster.
    »Ihr beiden – kommt!«
    Mir war nicht sofort klar, dass Alvantes Salzleck und mich meinte.
    »Und bring das mit.«
    Ich stellte entsetzt fest, dass der Hauptmann auf den Kopf des Prinzen zeigte.
    Ein weiterer Wächter schrie und schwankte, konnte sich aber im Sattel halten, obwohl ein Pfeil in seiner Schulter steckte. Die Kutsche bekam allmählich Ähnlichkeit mit einem Nadelkissen. Ich begriff plötzlich, dass diese Männer, die tapfer und dumm genug waren, ihr Leben allein aus Pflichtgefühl aufs Spiel zu setzen, sterben würden, wenn ich mich nicht endlich bewegte. Nach den jüngsten Ereignissen wäre es mir vielleicht schwergefallen, damit zu leben.
    Ich lief los.
    Nichts lag mir ferner, als Panchettos Kopf aufzuheben und mitzunehmen. Sollte Alvantes sich ihn selbst holen, wenn er solchen Wert darauf legte. Auf halbem Weg zur Kutsche sah ich sein Gesicht, die Mischung aus Kummer und Zorn. Wenn er nicht Moaradrid in die Finger bekommen konnte … Wer hinderte ihn daran, mir die ganze Schuld zu geben? Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Trotz.
    Von allem, was ich getan hatte, um meine Haut zu retten, war dies das Schlimmste. Mit halb geschlossenen Augen versuchte ich mir einzureden, die Hand nach etwas anderem auszustrecken als nach dem, das wirklich dort lag. Alle Illusionen lösten sich auf, als meine Finger das blutfeuchte Haar berührten und den Kopf hochhoben. Ich hielt ihn auf Armeslänge, schluckte bittere Galle hinunter und lief.
    Ich sprang in die offene Kutsche und zog die Tür hinter mir zu. Erst dann fiel mir ein, dass sich bereits ein Passagier in der Kutsche befand. Panchettos Leiche lag auf der hinteren Sitzbank, die Beine nach oben gestreckt, weil der Platz nicht genügte; ein Arm baumelte nach unten. Der Gestank von frischem Blut vermischte sich mit dem Geruch von Leder und Holz. Kleine Flammen züngelten in gläsernen Leuchtern und warfen unangenehme Schatten.
    Ich wollte wieder aussteigen, trotz der Pfeile. Aber bevor ich diese Absicht in die Tat umsetzen konnte, rollte die Kutsche mit einem Ruck los. Ich ließ Panchettos Kopf fallen, sank auf die freie Sitzbank und versuchte, einen möglichst großen Abstand zu dem anderen Reisenden zu wahren.
    Wir wurden rasch schneller. Was mir seltsam erschien, denn immerhin befanden wir uns auf einem Kai und nicht auf einer Straße. Das Knarren und Rasseln der Kutsche war gerade so laut geworden, dass es die Einschläge der Pfeile auf dem Dach übertönte, als der Kutscher plötzlich den Kurs änderte. Etwas zerrte mich zur Seite, aber ich krallte mich an meinem Platz fest, bis ich befürchtete, meine Finger könnten brechen. Die Pferde wieherten, die Räder quietschten, und wir kippten. Für einen Moment hatte es den Anschein, als hingen wir schief in der Luft.
    Dann waren wir durch die Kurve und rasten über einen steil nach oben führenden Hang. Es konnte nur die Laderampe sein, die die beiden Kai-Ebenen miteinander verband. An den Fenstern flatterten die Gardinen wild, und in der Dunkelheit draußen konnte ich nur einige bizarre Umrisse erkennen. Ein Reiter jagte vorbei, aber ich wusste nicht, ob es ein Wächter war oder einer von Moaradrids Männern. Das Durcheinander von Geräuschen –Schreie, das Klirren von Stahl auf Stahl, das Klappern von Hufen – wies auf einen Kampf hin, doch mehr verriet es mir nicht. Entkamen wir? Wurden Alvantes’ Wächter niedergemetzelt, einer nach dem anderen? Umgeben von Düsternis und heimgesucht von Geräuschen der Gewalt befürchtete ich das Schlimmste.
    Und es war alles meine Schuld.
    Ich hatte die Chance gehabt, das Richtige zu tun. Stattdessen war ich so dumm gewesen, mich gegen meine Freunde zu wenden, zu lügen und zu stehlen. Mit anderen Worten: Ich hatte genau das getan, was alle von mir erwarteten. Mit dem Ergebnis, dass der lächerliche, infantile Panchetto gestorben war und dass auch die Wächter dort draußen starben, tapfere Männer, deren einzige Schuld darin bestand, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Ich trug für das alles die Verantwortung, weil ich die falsche Wahl getroffen hatte.
    Und jetzt saß ich hier in dieser Kutsche, die mich meinem Verhängnis entgegentrug. Es erschien mir nur recht und

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