Im Schatten der Giganten: Roman
überhaupt nicht zu bemerken. Niemand machte Anstalten, ihm zu helfen. Ich ging zu ihm, und als er mich nicht ansah, sagte ich: »Salzleck …«
Er schenkte mir keine Beachtung.
»Es tut mir leid, Salzleck. Ich hätte dich nicht zwingen sollen, mir zu helfen.«
Ich kam nicht umhin zu bemerken, wie zerrissen sein Mantel war. Der Schneider hatte mit seiner Prophezeiung recht behalten, obwohl er dabei sicher nicht an einen Kampf gedacht hatte. Mein Schatz lag in den Straßen der Stadt, als unerwartetes Geschenk an die Frühaufsteher unter Altapasaedas Bürgern.
Als hätte er meine Gedanken erraten, griff Salzleck zwischen die Fetzen des Mantels. Er holte einen kleinen Beutel hervor, ließ ihn vor mir auf den Boden fallen und kehrte mir dann den Rücken zu.
Ich wollte den Beutel auf dem Boden liegen lassen, ich wollte es wirklich, denn ich fühlte die Verachtung des Riesen so deutlich wie die Hitze eines offenen Ofens. Mein Gehirn wies den Körper an, sich umzudrehen und dieses kleine bisschen Würde zu bewahren. Aber es waren die alten Angewohnheiten, die sich durchsetzten, begleitet von einer inneren Stimme, die flüsterte: Vielleicht kannst du es einmal gut gebrauchen.
Meine Finger schlossen sich um den Beutel und spürten das überaus tröstliche Gewicht von Münzen.
»Damasco.«
Ich ließ den Beutel in einer Tasche verschwinden, wirbelte herum und versuchte unschuldig auszusehen. Alvantes starrte mich an und machte keinen Hehl aus seinem Abscheu.
»Wenn es nach mir ginge, würde ich dich jetzt sofort töten, und ich bräuchte nicht zu befürchten, deshalb schlaflose Nächte zu haben.«
Das deutete darauf hin, dass er mich nicht töten würde. Woraus ich schloss … »Estrada?«
»Aus irgendeinem Grund tust du Marina leid. Wie auch immer, sie bat mich, deine offenbar endlosen Missetaten zu überwachen. Allerdings richtete sie diese Bitte an mich, bevor du sie vergiftet hast. Vielleicht überlegt sie es sich anders, wenn sie wieder zu sich kommt.«
»Vielleicht.«
»In der Zwischenzeit, Damasco … Tu, was ich dir sage, und zwar sofort, wenn ich es dir sage, ohne Widerrede oder Fragen zu stellen. Andernfalls wird es nicht einmal Estrada gelingen, deinen Kopf vor der Schlinge zu bewahren, das schwöre ich dir.«
»Verstehe.«
Alvantes’ Blick durchbohrte mich. »Ich habe ihm gesagt, dass er mehr Wächter mitnehmen und kein solches Risiko eingehen sollte. Er war ein guter Mann, in seinem Innersten. Das Böse konnte er einfach nicht verstehen, nicht einmal dann, wenn er ihm gegenüberstand. Deshalb wäre es falsch, dir die Schuld an seinem Tod zu geben. Aber aus irgendeinem Grund tue ich das trotzdem.«
Er drehte sich um und ging fort.
Ein Teil von mir wollte ihm zurufen, dass ich mir selbst die Schuld am Tod des Prinzen gab, doch der Rest von mir wusste, dass Alvantes kein Wort glauben würde. Außerdem, er mochte recht haben, aber er blieb ein scheinheiliger Mistkerl, und ich wollte verdammt sein, wenn ich auch nur einem Wort zustimmte, das aus seinem Mund kam. Selbst angesichts meiner Fehler wollte ich nicht so tief sinken.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem geschäftigen Treiben auf dem Hof zu. Bedienstete hatten die Kutsche des Prinzen weggebracht und eine andere geholt, einen dezenter wirkenden Vierspänner. Neue Wächter ersetzten die verwundeten und gefallenen.
Das war zumindest mein erster Eindruck. Doch sie trugen nicht die Livree des Palastes, sondern dunkelgrüne Kleidung mit einem schlangenartigen Emblem auf der Brust, von dem ich wusste, dass es einer der reicheren Familien von Altapasaeda gehörte. Was machten diese Leute hier? Sie nahmen Anweisungen von Alvantes entgegen, ein seltsames Verhalten für Zivilisten. Meine Verwunderung wuchs, als noch mehr Männer kamen, in Mäntel gehüllt und mit einem Karren voller Heu. Jenseits der Palastmauern trieb sich noch immer Moaradrid herum, und Alvantes’ Antwort bestand darin, seine Männer zu verkleiden?
Alvantes richtete einige leise Worte an einen der in Grün gekleideten Männer, der daraufhin zu mir kam und sagte: »Der Hauptmann möchte, dass du in die Kutsche steigst.«
Ich erinnerte mich an mein Versprechen, gehorsam zu sein, biss mir auf die Zunge und ging zur Kutsche. Der Mann, vermutlich ein Soldat, folgte mir dichtauf. Ich öffnete die Tür … und taumelte zurück. Mein erster Gedanke war, dass es sich bei der Gestalt in der Ecke um Panchetto handelte, dass mich das Schicksal dazu verurteilt hatte, bis in alle Ewigkeit mit
Weitere Kostenlose Bücher