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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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steckte voller Überraschungen.
    Ich vermutete, dass es zwei waren. Der eine kroch nach vorn übers Dach, und der andere hielt sich hinten fest. Neue Geräusche, diesmal vom Kutschbock, deuteten auf ein Handgemenge hin. Plötzlich änderte die Kutsche den Kurs, und Estrada und ich wurden von den Sitzen gerissen. Ich spürte, wie wir die Straße verließen und über weichen Boden rutschten. Bäume erschienen am Fenster, viel zu nah. Dann erfolgte ein neuerlicher Kurswechsel, mit einem weiteren Ruck. Ich hörte einen Schrei, dann einen lauten Aufprall. Die Kutsche schwankte, blieb diesmal aber auf der Straße.
    Die Tür sprang auf. Ein Fuß geriet in Sicht, gefolgt von einem Bein. Ich sah eine Gestalt: eine Rüstung aus schwarzem Leder, ein kurzer Bart, die hellen Augen voller Furcht und Zorn. Der Bursche hielt sich an den Dachleisten fest. Ich beobachtete, wie er eine Hand davon löste und nach dem Türrahmen griff.
    Estrada stieß mit ihrem Stilett zu. Ein neues Schaukeln der Kutsche gab dem Stoß noch mehr Wucht – die Klinge bohrte sich durch Fleisch und einen Zentimeter tief in Holz. Der Mann schrie – es war ein Schrei, der mir eine Gänsehaut bescherte, und eins der Pferde fügte ihm ein lautes Wiehern hinzu. Dann flogen wir durch eine Kurve, mit dem Ergebnis, dass sich die Kutsche stark zur Seite neigte; fast wäre sie gekippt.
    Estrada versuchte, ihr Stilett aus Fleisch und Holz zu ziehen, doch es gelang ihr nicht. Sie zog daran, zerrte es nach oben und drückte es nach unten, und bei jeder Bewegung der Klinge schrie der Nordländer. Ich konnte erkennen, wie sich Tränen in Estradas Augen bildeten. Der Mann hatte es geschafft, einen Fuß in die Tür zu bringen. Er schloss nun die freie Hand um den Rahmen und schwang den ganzen Körper in den Eingang – er war breit genug, ihn zu füllen. Dann schlug er nach Estrada, wodurch er den Halt verlor, und sie wich gerade noch rechtzeitig zurück.
    Der Nordländer beugte sich weiter herein und stützte sich dabei mit einer Schulter an der Tür ab. Sein Blick huschte zwischen der durchbohrten Hand und dem Schwert an seinem Gürtel hin und her; er schien nicht recht zu wissen, ob er sich erst befreien oder sofort angreifen sollte.
    Ich wartete nicht auf seine Entscheidung und trat ihm ordentlich auf den Fuß.
    Der Mann knurrte und griff nach seinem Schwert. Estrada wählte diesen Moment, um erneut nach ihrem Stilett zu greifen. Diesmal gelang es ihr, die Klinge aus Holz und Fleisch zu lösen, und sofort stieß sie erneut damit zu. Der Mann heulte, wollte zurückweichen und stellte fest, dass es nur Leere hinter ihm gab. Instinktiv streckte er die Hand aus, um sich festzuhalten, wählte aber die falsche und schrie erneut.
    Ich trat noch einmal zu. Für einen Moment ruderte der Mann mit den Armen, und dann fiel er und stürzte auf die Straße.
    Ich sank zurück, würgte und hätte mich fast übergeben. Estrada war kalkweiß im Gesicht. Sie starrte auf das Stilett in ihren Fingern; Blut klebte an der Klinge, bis zum Heft.
    »Ist er tot?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Haben wir ihn getötet?« Die Worte waren fast ein Schluchzen.
    »Er wollte uns töten.«
    »Aber das hat er nicht.«
    Die Kutsche schwankte erneut, wenn auch nicht ganz so heftig wie zuvor. Ich vermutete, dass der Kutscher sie wieder unter Kontrolle gebracht hatte – allem Anschein nach war es ihm gelungen, den zweiten Angreifer außer Gefecht zu setzen. Kurz darauf sah ich meine Vermutung bestätigt, denn wir hatten auf der Straße nur dem Karren Platz gemacht. Ich beobachtete, wie er herankam, mit dem auf ihm hockenden Salzleck.
    Inzwischen befanden wir uns tief in der Wildnis, in einer felsigen, von Bäumen durchsetzten Region, die bald in die Ausläufer der südlichen Berge übergehen würde. Diese Straße war die weniger häufig benutzte Verbindung zwischen Altapasaeda und Maedendo und verlief größtenteils am östlichen Flussufer. Hinter der Brücke über den Casto Mara wurde sie breiter, aber hier war sie so schmal wie eine gewöhnliche Landstraße. Mit dem Karren neben uns blieb für etwas anderes kein Platz mehr.
    Es war auf eine absurde Weise riskant. Zwar schützte es uns vor weiteren Angriffen, aber nur das Geschick der Kutscher verhinderte, dass Kutsche oder Karren im Graben landeten. Bei der ersten Kurve stießen die beiden Fahrzeuge mit dem dumpfen Knirschen von splitterndem Holz gegeneinander. Als sie sich wieder voneinander lösten, wies die Seite des Karrens eine große Delle auf.
    So

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