Im Schatten der Giganten: Roman
vielmehr am Ziel unserer Reise zu sein.
Warteten wir auf die castovalanischen Freischärler, von denen wir uns vor einigen Tagen getrennt hatten? Es fiel mir schwer, diese Lichtung für einen vereinbarten Treffpunkt zu halten. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was mir Estrada von ihrem Plan erzählt hatte, aber es war so absurd gewesen, dass ich kaum darauf geachtet hatte, und außerdem schien alles sehr lange zurückzuliegen.
Vielleicht bestand die einfachste Lösung des Problems darin, sie zu fragen. Estrada saß bei Salzleck auf dem Karren. Er lag nicht mehr unter dem Heu versteckt, und er konnte sich dort auch gar nicht mehr verstecken, weil er einen großen Teil seiner Tarnung verspeist hatte. Estrada kümmerte sich um seine neuesten Verletzungen. Eine Schnittwunde in seinem Bein wirkte besonders scheußlich, und er vermied es noch immer, den linken Arm zu benutzen. Doch die Mahlzeit schien wie üblich seine Stimmung verbessert und ihm neue Kraft gegeben zu haben. Er lächelte, als er mich sah, und dann, als fiele ihm etwas ein, runzelte er die Stirn.
Armer Salzleck. Er schaffte es einfach nicht, jemandem längere Zeit böse zu sein.
Ich winkte und rief: »Guten Morgen, Salzleck und Estrada!«
»Was willst du?« Das Eis in Estradas Stimme war ein wenig geschmolzen, aber freundlich klang sie noch lange nicht.
»Ich möchte wissen, was geschieht. Warum haben wir angehalten?«
Ich kletterte auf den Karren, und Salzleck rückte ein wenig zur Seite, um mir Platz zu machen.
»Welche Rolle spielt es für dich? Du würdest in jedem Fall auf eine Gelegenheit warten, dich wegzuschleichen oder uns zu bestehlen.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass es mir leidtut. Ich möchte helfen. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, ich habe ein Recht darauf zu erfahren, was vor sich geht.«
»Ein Recht? Du hast Nerven, Damasco.«
Ich hob die Hände und gab mich geschlagen. »Estrada … Marina … Wie wär’s, wenn du mir allein zum Zeitvertreib sagst, was hier passiert?«
Sie seufzte. »Wir warten.«
»Auf die anderen Gruppen?«
»Auf Moaradrid.«
Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. Meine Bestürzung dauerte nicht lange, denn einige Teile von Estradas Plan fielen mir wieder ein. Sie hatte uns »Köder« genannt. Köder für einen Hinterhalt. Sollte hier, im südlichen Zipfel des Castoval, eine Falle für den Kriegsherrn vorbereitet werden?
Aber wenn unser einziger Zweck darin bestand, den Hasen für Moaradrids Hunde zu spielen … Warum waren wir dann verkleidet durch seine Reihen geschlichen?
Eins nach dem anderen. Estrada hatte recht. Ich neigte dazu, nur auf das zu achten, was sich auf meine unmittelbaren Umstände bezog, und das hatte mich mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht. Während meines Aufenthalts in Altapasaeda hatte ich vermutlich viele nützliche Details übersehen, aber eine Lücke in meinem Wissen schien größer zu sein als alle anderen. »Du kennst Alvantes schon seit Langem, nicht wahr?«
»Wir sind alte Freunde.«
Ich hätte schwören können, dass sie errötete. Aber selbst wenn das nicht der Fall war, als Lügnerin taugte Estrada nicht viel.
»Ihr seid mehr als das.«
»Na schön. Wir waren … ein Paar – ich schätze, man kann es so nennen. Vor langer Zeit. Dann wurde Lunto befördert …«
» Lunto?«
»Lunto Alvantes.«
Ich hätte fast gekichert.
»… und ich wurde immer mehr in die Politik verstrickt. Wir fanden kaum noch Gelegenheit, uns zu sehen.«
»Deshalb hilft er dir also?«
»Er hilft mir, weil es richtig ist. Weil er nicht will, dass ein Ungeheuer wie Moaradrid über das Castoval herrscht und eines Tages vielleicht sogar König wird. Panchetto war kein schlechter Mann, aber er konnte nie viel weiter sehen als bis zu den Mauern seines Palastes. Er hätte nicht zu Schaden kommen sollen«, fügte Estrada traurig hinzu.
Während unseres Gesprächs begann es zu regnen. Große, schwere Tropfen fielen, zerplatzten auf dem Boden, an den Seiten des Karrens und auf unserer Kleidung – es klang nach tausend kleinen Trommeln. Milchiges Licht am Horizont wich Hügeln aus grauen Wolken, die finstere Kronen trugen, dunkel wie Rübensirup. Ich merkte plötzlich, wie kalt es war. »Warum kehren wir nicht in die Kutsche zurück?«, schlug ich vor.
»Kommst du hier allein zurecht, Salzleck?«
Der Riese hatte den Kopf nach hinten gelegt, um die Regentropfen mit dem Mund aufzufangen. Er sah Estrada an, nickte und lächelte. »Nach Hause«, sagte
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