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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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nur einige Minuten, aber mir erschien es viel länger. Mir taten die Füße weh, denn der Strick war zu eng geknotet. Die Handgelenke juckten wie verrückt, und jede Bewegung schien es noch schlimmer zu machen. Aus dem wolkenverhangenen Himmel fiel kalter Nieselregen, und meine Kleidung war nass. Ich fragte mich im Großen und Ganzen, ob eine schnelle Hinrichtung nicht besser gewesen wäre als diese fortgesetzte Qual.
    Nicht einmal Alvantes hatte versucht, sich zur Wehr zu setzen, trotz des in seinen Augen lodernden Zorns, als er Moaradrid den Stein aushändigte. Anschließend hatte er sich das Schwert von der Hüfte geschnallt und die Soldaten angewiesen, ihre Waffen ebenfalls abzulegen. Dort lagen die Klingen nun, in einem Haufen auf der Straße, und glänzten im grauen Licht, gerade außerhalb unserer Reichweite, als sollten sie uns verspotten.
    Moaradrids Männer hatten uns weitaus gründlicher durchsucht als die Palastwächter. Der Rohling, der mich abgeklopft hatte, überraschte mich, indem er mir den Geldbeutel ließ. Wahrscheinlich beabsichtigte er, ihn später meiner Leiche abzunehmen. Da ich keine Gelegenheit mehr bekommen würde, das Geld auszugeben, kam das Gewicht des Beutels an meiner Brust einer weiteren Qual gleich.
    Als neuer Besitzer des Riesen-Steins hatte Moaradrid Salzleck befohlen, abseits der anderen zu bleiben und sich nicht von der Stelle zu rühren. Die Soldaten hatten ihn trotzdem gefesselt – offenbar trauten sie der Macht des Steins nicht annähernd so wie der Kriegsherr. Salzleck hatte alles über sich ergehen lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und er saß noch immer völlig reglos da. Kein Wunder, dass Moaradrid die Riesen unbedingt auf seiner Seite haben wollte. Größe und Kraft waren eine Sache; aber selbst mit viel Geld konnte man sich keinen derartigen blinden Gehorsam kaufen.
    Wir anderen saßen bei den übrigen Gefangenen. Aus einiger Entfernung hatten sie bemitleidenswert ausgesehen, und aus der Nähe betrachtet verstärkte sich dieser Eindruck. Die meisten von ihnen waren zu jung, zu alt, zu ausgehungert oder zu krank, um großen Schaden anzurichten. Die letzten Reste von Widerstandswillen verschwanden, als sie sahen, dass auch Estrada in Gefangenschaft geraten war. Bis dahin hatten sie an einem letzten Rest von Hoffnung festgehalten, aber jetzt konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass sie besiegt waren.
    Wenn sie noch einen weiteren Beweis gebraucht hätten, so lieferten ihn die Soldaten des Kriegsherrn, die uns bewachten. Und dies konnte nur ein kleiner Teil von Moaradrids Streitmacht sein, wenn er die Belagerung von Altapasaeda nicht völlig aufgegeben hatte. Doch in diesem kleinen Tal fühlte es sich an, als säße Estradas armselige Rebellengruppe zu Füßen eines der größten Heere, die das Castoval je gesehen hatte.
    Moaradrid und Mounteban standen rechts von uns, ein Stück entfernt an der Böschung. Seit unserer Gefangennahme sprachen sie leise miteinander, und gelegentlich sahen sie in unsere Richtung. Einmal winkte uns Mounteban zu, und ich fragte mich, was diese Geste bedeutete. Kurze Zeit später fluchte Moaradrid laut. Offenbar redeten sie über uns, aber die Worte erreichten mich nicht. Allerdings deuteten die Gesichter der beiden Männer darauf hin, dass es um nichts Gutes ging.
    Ich hatte erwartet, dass Moaradrid schließlich kommen und zu uns sprechen würde, um sich seines Sieges zu rühmen und unsere bevorstehende Folterung anzukündigen. Es überraschte mich, als sich Mounteban schließlich von dem Kriegsherrn abwandte und sich mit seinen breiten Schultern und geblafften Befehlen einen Weg durch die Menge bahnte. Die Soldaten zeigten ihm kaum mehr Respekt als er ihnen. Mit den Händen an den Hüften blieb er vor uns stehen und wahrte einen sicheren Abstand. Sein Blick glitt über uns hinweg und verweilte dann bei Estrada.
    Als er sprach, klang seine Stimme seltsam gedämpft. »Bitte verstehe – du kannst von Glück sagen, dass du noch lebst. Wenn du am Leben bleiben willst, solltest du mir genau zuhören.«
    Estradas einzige Reaktion bestand darin, den Kopf wegzudrehen.
    »Ich weiß, was du denkst. Der Halunke Mounteban hat seine Freunde für Geld und einen Anteil an der Macht verkauft. Aber das stimmt nicht. Ja, ich bin zu Moaradrid gegangen, ich gebe es zu. Ich wollte mit ihm reden, als ein einflussreicher Mann zu einem anderen. Weil meine Absicht darin bestand, deine Sache zu verraten? Nein. Weil dieser Plan verrückt war und uns

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