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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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sah sie auch und wurde zu meinem Entsetzen noch schneller. Der Magen sprang mir in den Mund und blieb dort.
    »Du musst ihn zügeln!«, rief Estrada mir zu. Ihre Stimme erklang irgendwo hinter mir und erreichte mich kaum durch das Pfeifen des Winds in meinen Ohren.
    »Dann bringt er mich um!«
    »Auf diese Weise verausgabt er sich, und dann holen uns die anderen ein.«
    Ich wusste, dass sie recht hatte. Was ihren Vorschlag aber nicht leichter durchführbar machte, und meinen Hengst nicht weniger irre. Wahrscheinlich hätte er mich eher abgeworfen und genüsslich zertrampelt, als sich irgendeiner Art von Kontrolle zu unterwerfen. Aber wenn ich es nicht versuchte, war er in einigen Minuten fix und fertig. Ich bemühte mich, die Zügel zu erreichen, ohne den Hals loszulassen. Erst als ich sie in der Hand hatte, wagte ich es, meinen Griff ein wenig zu lockern.
    Ich zog die Zügel, aber der Hengst schien davon überhaupt nichts zu bemerken. Ob aus Furcht, Aufregung oder reiner Bosheit, offenbar wollte er rennen, bis er umfiel. Wenn Moaradrid kam, würde ich auf einem toten Pferd sitzen, und vielleicht bekam ich von ihm sogar ein Lächeln, bevor er mich köpfte. Dieser Gedanke gab mir den Mut, die Zügel etwas fester anzuziehen.
    »Langsam, Killer!«, rief ich.
    Der gerade auf den Namen Killer getaufte Hengst wieherte rau, warf den Kopf hin und her und legte einen Zwischenspurt ein. Ich spürte das Beben seiner Flanken an meinen Beinen und hörte seinen hechelnden Atem. Erste Ermüdungserscheinungen stellten sich ein, was ihn aber nur noch zorniger machte. Warum war er überhaupt so wütend?
    Vielleicht vermisste er seinen Herrn.
    Ich zog die Zügel mit aller Macht, versuchte Alvantes’ Stimme nachzuahmen und rief: »Bleib stehen, verdammt!«
    Zwar blieb Killer nicht stehen, aber er wurde ein ganzes Stück langsamer. Er hatte Alvantes erwartet, und nichts verwirrte ihn mehr als ein zurückhaltender Reiter. Er war an Autorität gewöhnt, daran, seinen Platz in der Welt zu kennen.
    In diesem Augenblick erschien Salzleck neben uns. Ich erinnerte mich daran, wie er auf Moaradrids Befehl hin stocksteif dagesessen hatte, und fast gegen meinen Willen verglich ich ihn mit dem unter mir laufenden Pferd. Ich wusste, dass es unfair war. Das hierarchische System der Riesen hatte wahrscheinlich jahrhundertelang perfekt funktioniert, solange nur Riesen davon betroffen gewesen waren. Es hatte nie auf machthungrige Kriegsherrn oder egoistische Diebe erweitert werden sollen.
    Salzleck sah richtig gut aus. Seine Wunden heilten schneller als die eines Menschen, und er wirkte noch immer fröhlich. Wenn das hinter uns liegende Massaker für ihn überhaupt irgendeine Bedeutung hatte, dann nur die, dass es am Anfang seiner Rückkehr nach Hause stand. Eigentlich konnte ich es ihm nicht verdenken. Er hatte wegen Moaradrid mehr gelitten als die meisten anderen.
    Dafür zu sorgen, dass er auch tatsächlich nach Hause kam, war vielleicht die beste Möglichkeit, dies alles zu beenden. Früher oder später würde Moaradrid uns erwischen. Im Verlauf der letzten Tage war ich dem Tod so oft nahe gewesen, dass mich die Aussicht, erneut in Lebensgefahr zu geraten, seltsam unberührt ließ. Außerdem: Irgendwohin mussten wir ohnehin fliehen. Warum sollten wir nicht versuchen, das mythische Versteck der Riesen zu erreichen?
    Estrada kam an meine linke Seite und rief: »Sie sind nahe!«
    Ich warf einen Blick über die Schulter. Es befanden sich Reiter hinter uns, ja, aber Moaradrid war nicht unter ihnen. Sie hatten gerade die letzte Kurve hinter sich gebracht und waren nur deshalb in Sicht, weil dieser Teil der Straße so gerade verlief. Ob sie zu uns aufschlossen, ließ sich nicht feststellen.
    »Ist dies der richtige Weg?«, fragte ich Salzleck.
    Er versuchte zu nicken, begriff dann aber, dass es sinnlos war, denn beim Laufen wackelte sein ganzer Körper. Ich glaubte, mich an diese Gegend zu erinnern: Wir näherten uns der Cancasa-Brücke, der südlichen Grenze der castovalanischen Zivilisation. Die Straße beschrieb einen Bogen um eine Felsnase und führte dann zum Fluss. Dorthin zeigte Salzleck.
    Nach der nächsten Biegung schlängelte sich unser Weg durch einige weite Kurven, wodurch wir die nordländischen Reiter hinter uns aus den Augen verloren. Es erleichterte mich, aber gleichzeitig machte es mich auch nervös. Mir lag nichts daran, zu beobachten, wie sie näher kamen, aber zu wissen, dass sie vielleicht näher kamen und ich es nicht sehen konnte,

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