Im Schatten der Giganten: Roman
Salzleck.
»Ja, lass mich nur …«
Der Riese bewegte die Arme. Sofort gaben die Stricke nach und sanken zu Boden. Er stand auf, und mit einem Knarren rissen die wenigen an seiner Brust verbliebenen Seile.
»Oh. In Ordnung.«
Salzleck trat zurück. Sein Gesicht glänzte, und die Brust hob und senkte sich. Durch die Anstrengung hatten sich einige Schnittwunden wieder geöffnet, und frisches Blut vermischte sich mit der Patina aus Schweiß. »Muss los. Muss gehen.«
»Klingt gut. Ich klettere nur schnell hoch und …«
Plötzlich fiel mir ein, dass man ihm vor dem Fesseln das Netz abgenommen hatte. »Oh, Mist .« Niemand würde mir je Heldenmut vorwerfen können, aber in dieser Nacht machte ich Pragmatismus zu einer Tugend. »Salzleck«, sagte ich und deutete in die Richtung, aus der ich gekommen war, »es geht dorthin, und du musst so schnell laufen, wie du kannst.«
Salzlecks Blick folgte meinem Finger und richtete sich dann auf mich. Seine Hände zuckten. Ich argwöhnte, dass er überlegte, ob er mich tragen konnte.
Das kam nicht infrage. Ich wollte nicht unter der Achsel eines Riesen zerquetscht werden. »Wag es bloß nicht! Lauf, so schnell du kannst, und bleib um nichts in der Welt stehen.«
Als er sich noch immer nicht rührte, ging ich ihm mit gutem Beispiel voran und lief los. Einen Moment später folgte mir Salzleck. Ich fluchte durch zusammengebissene Zähne. Wenn es vorher noch die Chance gegeben hatte, leise aus dem Lager zu entkommen, so war sie dahin, als die großen Füße des Riesen auf den Boden hämmerten. Es hörte sich an, als hätte eine ganze Viehherde beschlossen, mir zu folgen. Ich wusste, dass Salzleck in der Lage gewesen wäre, mich mit nur einem Sprung zu überholen, aber er hielt sich zurück. Ich hörte, wie seine nackten Füße dicht hinter mir ins feuchte Gras klatschten.
Wahrscheinlich war es überall im Lager zu hören.
Meine Befürchtungen wurden bestätigt, als ich einen gedämpften Ruf links von uns hörte, dort, wo die Zelte dichter beieinander standen. Ein zweiter folgte, etwas lauter. Ich hörte das Trampeln anderer Füße, die sich uns näherten. Fackeln wurden entzündet, und plötzlich war das Lager voll von flackerndem Licht und huschenden Schemen.
Voraus erschienen drei Gestalten wie aus dem Nichts. Eine saß auf einem Pferd und hielt einen Bogen in den Händen, mit einem Pfeil auf der Sehne. Die zweite hob einen Säbel, und die dritte trug eine Fackel. Sie wirkten besorgt, wozu sie auch allen Grund hatten, denn immerhin stand ihnen eine Konfrontation mit einem Geschöpf bevor, das doppelt so groß war wie sie, aber trotzdem wichen sie nicht zur Seite. Der Bogenschütze zielte. Er wusste genauso gut wie ich, dass ein gut platzierter Schuss Salzleck zu Boden schicken würde, bevor er nahe genug kam, um etwas gegen ihn zu unternehmen.
Doch plötzlich schrie er auf, ließ den Bogen fallen und kippte zur Seite. Der Fackelträger musste ihm mit einem Sprung ausweichen. Das Pferd scheute, trat aus und traf den dritten Mann – er taumelte zurück, und Blut strömte aus seiner zerschmetterten Nase. Und dann hatten wir sie erreicht. Der noch stehende Mann wollte die Fackel nach vorn stoßen, aber Salzleck wischte sie einfach beiseite, und dann auch den Mann, der sie gehalten hatte. Wir rannten weiter, und ich bemerkte einen Pfeil im Oberkörper des Bogenschützen.
Bevor ich mich noch fragen konnte, wie er dorthin gekommen war, erklangen weitere Rufe hinter uns. Sie kamen wieder von links, und zuerst waren es nur ein oder zwei, aber dann schien ein recht schriller Schrei alle Schleusentore zu öffnen. Plötzlich ging es in Moaradrids Lager drunter und drüber. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was hinter uns geschah, und ich wollte mir auch nicht die Zeit nehmen, es herauszufinden.
Hufe donnerten vor uns und kamen schnell näher. Es klang nach mindestens sechs Reitern, mehr als genug, um unsere Flucht zu beenden. Ich begann zu ahnen, dass das Chaos am Rand des Lagers etwas mit Estrada zu tun hatte. Wir waren der Felswand recht nahe – einige gute Bogenschützen konnten ziemlich viel Unheil anrichten, bis ihre Gegner begriffen, was die Stunde geschlagen hatte, alle Lichter löschten und sich durch Dunkelheit schützten.
Ein gutes Ablenkungsmanöver, das uns jedoch nicht retten würde.
Ich duckte mich in dem Versuch, noch ein bisschen länger am Leben zu bleiben. Die Reiter donnerten an uns vorbei, so nahe, dass ich die Hitze von den Flanken der Pferde
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