Im Schatten der Giganten: Roman
auszuweichen, zuckte nicht einmal zusammen.
Den widerspenstigen Maultieren schienen Lärm und Staub nicht zu gefallen. Sie nahmen beides zum Anlass, ihren Standpunkt noch einmal zu überdenken, und stapften dann los, wodurch sich das am nächsten Balken befestigte Seil spannte. Das Holz brach mit einem lauten Knacken, und die Decke gab noch etwas mehr nach.
Ich bekam Salzlecks freie Hand zu fassen und zog. Er glotzte mich an – oder vielleicht durch mich hindurch. Ich begriff, dass ich ihn wohl kaum bewegen konnte, wenn er nicht bewegt werden wollte. Von einem Augenblick zum anderen ging er los und zog mich mit sich. Gerade noch rechtzeitig. Einen Augenblick später stürzte dort alles ein, wo wir eben noch gestanden hatten.
Ich stand in einer Staubwolke, die so dicht war, dass sie fast das Licht der Fackel schluckte, und hustete hingebungsvoll. Um mich herum zitterte und bebte alles, auch nachdem der letzte große Stein gefallen war und sich nicht mehr rührte.
Jemand in der Nähe seufzte erleichtert, und eine Stimme erklang. »Kommt. Wir sind noch nicht zu Hause.«
Es war Mountebans Stimme, aber sie klang seltsam in dieser wie Suppe anmutenden Luft. Das Licht der Fackel, ohnehin nur ein schwaches orangefarbenes Glühen, schrumpfte und ließ mich in wachsender Dunkelheit zurück. Ich hörte Füße und Hufe in der Nähe, und beides machte sich zusammen mit dem Licht davon.
»Wartet!«, rief ich und bekam für meine Mühe reichlich Staub in die Kehle. Ich hustete erneut.
Noch immer hielt ich Salzlecks Finger, die unangenehm klebrig waren, was an seinem Blut lag, vermischt mit dem von Moaradrids Männern. Ich ließ nicht los. In der staubigen Düsternis war selbst die Gesellschaft eines blutbesudelten Riesen besser als gar nichts.
»Folgen wir ihnen«, brummte ich und versuchte, nicht noch mehr Staub einzuatmen.
Ich zog an Salzlecks Hand. Ebenso gut hätte ich versuchen können, eins von Mountebans störrischen Maultieren zu bewegen.
»Ich weiß, dass du verletzt bist, aber hier stehen zu bleiben hilft dir nicht.«
»Böses getan.«
Wie üblich sprach Salzleck die Worte so aus, als bereiteten sie ihm ebenso große Mühe wie das Erklettern eines Bergs oder das Schwimmen durch einen ganzen Ozean.
»Na schön, ich hätte dich nicht zurücklassen sollen. Aber ich habe dich gerettet, oder? Anstatt dich einfach deinem Schicksal zu überlassen.«
» Salzleck Böses getan.«
Ich starrte ihn fassungslos an, was ich mir hätte sparen können, denn inzwischen war der Fackelschein nur noch eine vage Andeutung in der Finsternis – Salzleck konnte meinen Gesichtsausdruck überhaupt nicht erkennen. »Bist du verrückt? Du hast uns das Leben gerettet.«
»Böse. Nicht wehtun. Nicht töten.«
»Du hast dich nur zur Wehr gesetzt! Und du hast mich und den dicken Gauner namens Mounteban geschützt. Hältst du das vielleicht für böse?«
Mir fiel ein, dass ich mein Leben riskierte, indem ich mit einem Riesen das Thema Moral erörterte, in einem finsteren Bergwerksstollen, in dem zumindest mir langsam die Luft ausging. Meine Mutter hatte oft gesagt, dass ich mich eines Tages um Kopf und Kragen reden würde, und ich wollte vermeiden, dass sie recht bekam.
Doch selbst das war vermutlich keine Rechtfertigung für meine nächsten Worte. »Salzleck, wenn du nicht mit mir kommst … Wer wird Moaradrid dann daran hindern, sich an deiner Familie zu rächen?«
Der Riese setzte sich in Bewegung, noch bevor ich den Satz beendet hatte, und ich musste mich sehr bemühen, um mit ihm Schritt zu halten. Dieser Weg durch den Stollen zerrte an meinen Nerven. Immer wieder stolperte ich über Steine, und die ganze Zeit über knarrte es um uns herum, als könnte die Decke auch hier jederzeit nachgeben. Schon bald wurde der Tunnel schmaler und niedriger, was Salzleck zwang, sich tief zu bücken – seine Körpermasse hielt das wenige Licht weiter vorn von mir fern.
Als der Stollen wieder größer wurde, trat ich in so helles Licht, dass ich meine Augen abschirmen musste. Nach einem Moment begriff ich, dass es nur Fackeln waren. Wir hatten zu Mounteban, seinen Leuten und den eigenwilligen Maultieren aufgeschlossen. Sie warteten in einem kleinen Raum, der mir nach dem Marsch durch den engen Tunnel allerdings riesig erschien. Auf einem Sockel in der Mitte stand eine Vorrichtung, die wie ein Karren mit hohen Seitenwänden aussah, und von der mit Balken abgestützten Decke führten Kettenbündel in die Dunkelheit empor. Ich gelangte zu dem
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