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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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niemand von uns etwas zu sagen, und das Ergebnis war ein unangenehmes Schweigen voller Anspannung.
    Salzleck schien von seiner neuen Beschäftigung so entzückt zu sein, dass er für nichts anderes Aufmerksamkeit vergeudete. Oder vielleicht versuchte er nur, das überlastete Boot nicht ganz untergehen zu lassen. Er hätte selbst dann nicht intensiver in die Ferne starren können, wenn er bestrebt gewesen wäre, das Skiff allein mit Willenskraft zu bewegen. Estrada beobachtete den Wald, seit Mounteban und seine Kumpane zwischen den Bäumen verschwunden waren – sie schien es für möglich zu halten, dass sie jeden Moment zurückkehrten. Vermutlich konnte sie sich keinen Reim darauf machen, dass uns Mounteban nach seinem Verrat gerettet hatte, und um ehrlich zu sein: Ich fand es auch sehr verwirrend.
    Die letzten beiden Minuten hatte ich nur daran gedacht. Mounteban schien in der Nähe von Casta Canto gewartet zu haben, in der Annahme, dass wir aus Mangel an Alternativen am ursprünglichen Plan festhielten. Für seine groteske, melodramatische Aktion gab es meiner Meinung nach nur eine Erklärung: seine Besessenheit hinsichtlich Estrada. Ich fragte mich, ob er entschieden hatte, uns weiterhin zu folgen. Wenn ja, so gab es ein Problem für ihn, denn immerhin lag die ganze Breite des Casto Mara zwischen uns.
    Und ganz abgesehen davon … Eigentlich konnte mir der Mistkerl völlig schnurz sein. Mich oder Salzleck hätte er nicht gerettet. Wahrscheinlich würde er nicht einmal auf mich pinkeln, wenn ich in Brand stünde und er eine Blasenentzündung hätte. Außerdem wären wir vermutlich ohnehin entkommen, auch ohne ein derartiges Spektakel, das sicher das eine oder andere Leben gekostet hatte. Alles in allem: Es fiel mir nicht weiter schwer, den ganzen beschämenden Zwischenfall beiseitezuschieben.
    Zuerst hatte ich versucht, es mir etwas bequemer zu machen, doch ich war zu verkrampft, um dabei große Fortschritte zu erzielen. Es genügte, einen Fuß zu strecken oder die Hand zu bewegen, um das Boot gefährlich schaukeln zu lassen. Ich begnügte mich damit, die über uns dahinziehenden Wolken zu beobachten, und nach einer Weile döste ich ein. Wenn ich erwachte, wusste ich zunächst nicht, wo ich war, und blickte erschrocken übers Wasser. Jedes Mal stand die Sonne tiefer am Himmel, und die Luft war noch etwas kühler. Nur an Salzleck und Estrada änderte sich nichts; sie starrten weiterhin ins Leere. Beim vierten Erwachen sah ich erste Dunkelheit über den Himmel kriechen, und der Wind war eindeutig frisch. Ansonsten war alles wie vorher, im Boot ebenso wie außerhalb. Estrada hatte die Augen geschlossen, Salzleck ruderte gleichmäßig, und Enten und Sumpfhühner schwammen geschäftig umher. Die Strömung war etwas stärker geworden. Die Wellen trugen Schaumkronen und waren so groß, dass der braune Fluss im schwächer werdenden Licht Ähnlichkeit mit einem gepflügten Acker bekam. Wir mussten inzwischen ein ganzes Stück zurückgelegt haben und tief im Innern von Paen Acha sein. Am östlichen Ufer setzte sich der Wald mehr oder weniger lückenlos bis zum Ende des Tals fort. Im Westen bildete er nur einen breiten Streifen, der dort zu Ende ging, wo …
    »Salzleck«, sagte ich, und es gelang mir nicht, die Besorgnis aus meiner Stimme zu verbannen. »Wir sollten anhalten.«
    Estrada öffnete die Augen. »Wir haben noch eine Stunde Tageslicht.« Sie klang ein wenig benommen.
    »Das hat nichts damit zu tun. Salzleck, bring uns zum Ufer.«
    »Ruder weiter.« Estrada war jetzt hellwach. »Lass ihn in Ruhe, Damasco.«
    »Wir nähern uns Altapasaeda.«
    »Und?«
    »Es gibt vielleicht nicht viele Orte im Castoval, wo ich willkommen bin, aber es gibt einen, in dem man mir sofort den Kopf abhackt, ohne sich vorher auch nur mit einer offiziellen Verhaftung aufzuhalten. Je weiter ich von Altapasaeda und den dortigen seltsamen Vorstellungen von Recht und Ordnung entfernt bleibe, desto besser für meinen Hals und auch den Rest von mir.«
    Estrada sah mich groß an. Dann sagte sie wie zu einem Kind, das schwer von Begriff war: »Damasco, wohin, glaubst du, sind wir die ganze Zeit unterwegs gewesen?«
    Im Nachhinein musste ich eingestehen, dass es nicht unbedingt die beste meiner Ideen war, im Boot aufzustehen. Im Lauf der Nacht erschien mir die Sorge aufgrund Estradas Enthüllung immer weniger als eine einigermaßen akzeptable Rechtfertigung. Zwar hatte ich damit erreicht, was ich wollte, aber es waren gewisse Unannehmlichkeiten

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