Im Schatten der Giganten: Roman
nicht besser, als ich beobachtete, wie Salzleck Blätter von einem nahen Busch mampfte.
»Hast du was zu essen?«, fragte ich Estrada.
»Ich habe meinen Rucksack im Hafen von Casta Canto zurückgelassen«, erwiderte sie ein wenig schuldbewusst.
»Mal sehen, ob ich was auftreiben kann.«
Es vergingen zwei elende Stunden, bevor ich zurückkehrte. Die Früchte meiner Bemühungen waren eine Handvoll schrumpeliger Äpfel und ein Kaninchen, so alt, dass es in jener Nacht vermutlich an Altersschwäche gestorben wäre, wenn es von mir nicht einen Stein auf den Kopf bekommen hätte. Das Lagerfeuer hatte mich die ganze Zeit über mit seinem fernen gelblichen Schein gelockt, während ich den Wald durchstreifte, und bei meiner Rückkehr stellte ich deprimiert fest, dass kaum mehr als glühende Asche davon übrig geblieben war, weil Estrada sich nicht darum gekümmert hatte. Ich legte Zweige nach, setzte mich daneben und begann damit, das greise Kaninchen auszunehmen. Estrada beobachtete mich voller Abscheu, sagte aber nichts.
Mir lief bereits das Wasser im Mund zusammen, als meine Beute an einem improvisierten Spieß über dem Feuer briet. Doch als das Fleisch gar und unter uns aufgeteilt war, blieb für jeden so wenig, als hätte ich lediglich eine Spitzmaus erlegt. Energisches Kauen machte das Fleisch einigermaßen genießbar, und zusammen mit den Äpfeln vertrieb es meine Magenkrämpfe. Als Salzleck schnarchend neben dem Boot lag, hielt ich die Gelegenheit für gekommen, ein ernstes Wort mit Estrada zu reden und ihr zu sagen, was ich von ihrem Plan hielt, mich hinrichten zu lassen.
Vielleicht bemerkte sie das Funkeln in meinen Augen. »Ich weiß, was du davon hältst, nach Altapasaeda zu gehen. Das wurde sehr deutlich, als du das Boot zum Kentern gebracht hast.«
»Das war ein Unfall. Was nicht bedeutet, dass ich es nicht absichtlich getan hätte, um den Kopf auf den Schultern zu behalten.«
»Ich weiß, wie streng man in Altapasaeda auf die Einhaltung der Gesetze achtet. Aber es ist sehr wichtig, dass wir dorthin gehen. Schreckliche Dinge würden passieren, wenn wir nicht dorthin gingen. Bevor du dich wieder aufregst … Wie wär’s, wenn du dir die Gründe anhörst? Ich sage dir die Wahrheit – die ganze Wahrheit.«
Sie sprach in einem fast flehentlichen Ton, und damit hatte ich nicht gerechnet. »Na schön, ich höre mir alles an. Aber was auch immer du mir sagen willst, ich garantiere dir, dass ich meinen Kopf deshalb nicht weniger zu schätzen weiß.«
Estrada nickte und sah nachdenklich ins Feuer. »Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll. Alle anderen hätten sich inzwischen den größten Teil zusammengereimt. Du verstehst es gut, die großen Fragen einfach nicht zu beachten.«
»Das stimmt nicht. Ich bin der Erste, der fragt, was es zum Essen gibt und wo die nächste Taverne ist. Vielleicht sind wir nur unterschiedlicher Meinung, was die großen Fragen sind.«
»Du hast dich nicht gefragt, wie Moaradrid die Riesen rekrutiert hat, oder?«
Ich dachte daran, was ich ihn in jener Nacht in seinem Heereslager hatte sagen hören. »Das Warum liegt auf der Hand. Nach der Unterwerfung des Castoval will er weiter nach Norden ziehen, gegen den König. Um dabei Erfolg zu haben, braucht er mehr als einen Haufen ungewaschener Flachländer.«
Estrada wirkte beeindruckt. »Du hast aufgepasst, zumindest ein bisschen. Aber wundert es dich nicht, dass die Riesen ihm folgen, obwohl sie den Kampf so sehr hassen? Es ist nicht etwa so, dass sie ihrem Standpunkt keinen Nachdruck verleihen könnten.«
»Ich habe darüber nachgedacht, aber dann hat die Flucht meine ganze Aufmerksamkeit beansprucht – immerhin ging es um mein Leben.«
Estrada senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Und der Stein? Hast du dich nie gefragt, welchen Zweck der Stein erfüllt?«
Meinte sie den Edelstein, den ich in Reb Panza zurückgelassen hatte? Nein, sie sprach vermutlich von dem anderen Stein, dem rot gestreiften, den ich in Moaradrids Beutel gefunden und nicht weiter beachtet hatte. Man hatte ihn mir abgenommen, während ich in den Höhlen gefangen gewesen war, und ich hatte den Verlust kaum bemerkt. Als ich jetzt daran zurückdachte … Moaradrid hatte auch den gestreiften Stein erwähnt, oder?
»Na schön, da muss ich passen. Was hat es mit ihm auf sich?«
»Er ist die Antwort, Damasco.«
Estrada sprach noch leiser. Ich musste mich vorbeugen, um sie zu verstehen.
»Einer unserer Agenten fand dies heraus, nachdem wir erfuhren,
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