Im Schatten der Giganten: Roman
beobachtete. Ein halbes Dutzend Gesichter waren mir vertraut geworden, seit wir den Palast verlassen hatten. Ich hoffte, dass sie meine an Salzleck gerichtete Erklärung gehört hatten, wonach es mir nur darum gegangen war, dem Kapitän ausstehendes Geld zu bringen. Jedenfalls, ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie eine Ahnung von meinen wahren Plänen bekommen hatten.
Salzleck schien es inzwischen ziemlich satt zu haben, von den Hafenarbeitern begafft und auch verflucht zu werden. Als ich zu ihm zurückkehrte, sagte ich laut für die Ohren der Beobachter: »Alles erledigt. Kapitän Anterio hat das Geld bekommen, das ihm zustand, ich habe meine Magenmedizin, und jetzt können wir uns auf den Weg machen und deine neuen Sachen abholen.«
Es klang recht überzeugend. Doch als ich meinen eigenen Worten lauschte, ertönte plötzlich eine Stimme des Zweifels.
Anschließend besuchen wir das Bankett des Prinzen, bei dem auch Moaradrid zugegen sein wird.
Und dann – vorausgesetzt, er springt nicht über den Tisch, um mir an Ort und Stelle das Herz aus der Brust zu schneiden – werde ich mein Leben beim gefährlichsten Verbrechen meiner ganzen kriminellen Karriere riskieren.
16
M eine Befürchtungen und Zweifel lösten sich nach und nach auf, als wir den Hafen verließen, und nach einer Weile war ich fast fröhlich. Zum ersten Mal seit langer Zeit blieb ich nicht allein den Launen anderer ausgeliefert, sondern nahm das Heft des Handelns selbst in die Hand. Es lag ein gewisser Trost darin, dass all die Irrungen und Wirrungen der letzten Tage bald überwunden sein würden. Und ganz abgesehen von all diesen Überlegungen: Es fühlte sich gut an, einfach nur zu gehen. Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, auf der Flucht zu sein und um mein Leben zu rennen, dass gemütliches Schlendern zu einem Vergnügen wurde.
Die meisten Verkaufsstände waren vom Marktplatz verschwunden, und es gab nur noch einige Holzgerüste ohne Planen. Weiter vorn räumten die letzten Ladeninhaber ihre Waren ein, klappten Vordächer zurück, schlossen Fensterläden und verriegelten Türen. Die Sonne stand noch ein ganzes Stück über dem Horizont; für ein Nachtleben war es viel zu früh. Die Straßen leerten sich schnell. Nur noch wenige Einkäufer waren unterwegs und achteten kaum auf uns. Da wir nicht auf Karren oder Pferde Rücksicht nehmen mussten, konnten wir in der Straßenmitte gehen und wichen dabei verfaulendem Obst und Gemüse, Dung und anderen, weniger leicht zu identifizierenden Dingen aus.
Leider ergaben sich schon nach kurzer Zeit neue Sorgen, die meine Fröhlichkeit vertrieben, sosehr ich sie auch festzuhalten versuchte. Zuvor im dichten Verkehr hatte mich das Wissen um die Beschatter kaum belastet, zumal es mir durchaus in den Kram passte, Zeugen zu haben, die ihren Auftraggebern bestätigen konnten, dass es mir nicht um Flucht gegangen war. Doch seit dem Verlassen des Hafens folgten uns zwei Männer, die sich immer weniger Mühe gaben, nicht als Verfolger erkannt zu werden. Sie trugen weite Mäntel, unter denen sich Waffen verbergen ließen, bewegten sich mit zwanghafter Verstohlenheit und wirkten im Großen und Ganzen wie üble Kriminelle. Vielleicht stand es mir nicht unbedingt zu, solche Urteile zu fällen, aber ich hatte wenigstens immer versucht, Gewaltanwendung zu vermeiden. Etwas sagte mir, dass diese beiden Burschen keine derartigen Bedenken hatten.
Als sich die letzten Ladentüren schlossen und wir immer weniger Leuten auf der Straße begegneten, wurden die Schritte der beide Verfolger schneller. Mehrmals warf ich einen Blick über die Schulter und musste dabei feststellen, dass die Männer nicht sehr freundlich lächelten. Vielleicht gehörten sie gar nicht zu einer der an uns interessierten Gruppen, dachte ich. Es konnten einfache Halsabschneider sein, die glaubten, einen wohlhabenden Touristen entdeckt zu haben, und ihr Glück bei ihm versuchen wollten. Aber das ergab kaum einen Sinn. Kein noch so verzweifelter Dieb konnte jemanden in Salzlecks Gesellschaft für leichte Beute halten.
Ein Teil von mir sah in vorgetäuschter Gleichgültigkeit die beste Chance, doch es fiel mir immer schwerer, weiterhin ruhig zu bleiben und nicht einfach loszulaufen. Wenn wir etwas schneller gingen, wurden auch die Verfolger schneller. Sie kamen näher, und ich brachte es einfach nicht mehr fertig, Desinteresse zu heucheln.
Hypothetische Beobachter hätten sich vermutlich gefragt, warum jemand mit einem Riesen an seiner Seite vor
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