Im Schatten der Giganten: Roman
die Rübe abzureißen. Aber einfach nur dazustehen wie ein großer Pudding …«
»Kein Kampf.«
»Du hast gekämpft, als wir Moaradrids Lager verließen!«
Es war immer schwer, Salzlecks Gesichtsausdruck zu deuten, aber diesmal konnte ich die Schuld in seiner großen Visage deutlich erkennen. Natürlich war er bei jener Gelegenheit gerade gefoltert worden und deshalb vermutlich nicht ganz klar im Kopf gewesen …
Mein Ärger löste sich auf, und ich rang mir ein Lächeln ab. »Du hast richtig gehandelt. Beim nächsten Mal solltest du nur nicht so lange warten. Jetzt machen wir uns besser auf den Rückweg und … Oh, Mist !«
Salzlecks neue Kleidung! Vor der Begegnung mit den Schurken waren wir, ohne dass ich groß darüber nachgedacht hatte, auf dem Weg zu dem Laden gewesen. Ich fragte mich, ob er noch geöffnet hatte. Das sollte er besser, dachte ich; immerhin ließ mein Auftrag die Kasse des Inhabers ordentlich klingeln.
»Komm«, sagte ich und ging los. Dann fiel mir etwas ein. »Wenn wir dem Pack noch einmal begegnen, hast du meine Erlaubnis, erneut das zu tun, was du vorhin getan hast.« Vielleicht suchten sie nach uns, und ich wollte mich nicht noch einmal demütigen lassen.
Bald erreichten wir die Kreuzung, wo unsere Straße auf den breiten Weg traf, der vom Nordtor der Stadt bis zu ihrem südlichen Rand reichte. Wir wandten uns nach links und kehrten damit ins bessere Marktviertel zurück. Lautes Gezeter von Vögeln in goldenen Käfigen unter einem weiß getünchten Torbogen kündigte uns an. Hier sahen wir einige Passanten, elegante Paare, die selbst nach Ladenschluss noch einkaufen wollten. Zwei Stadtwächter standen an einer Ecke, und vielleicht hatten wir es ihrer Präsenz zu verdanken, dass sich unsere neuen Freunde, die verhinderten Bauchaufschlitzer, nirgends blicken ließen.
Der Schneiderladen hatte tatsächlich geschlossen, wie befürchtet. Ich hämmerte an die Tür und wollte es gerade mit Rufen versuchen, als der Inhaber öffnete. Er wirkte besorgt, und nur ein Teil der Sorge wich aus seinem Gesicht, als er uns erkannte.
»Oh«, sagte er. »Ich habe dir ja gesagt, dass es unmöglich ist.«
»Ist es noch nicht fertig?«
»Doch, doch. Aber die Maße, der Schnitt … Du musst wissen, ich habe nicht viele Kunden von der, äh, Statur dieses Herrn.«
Er verschwand kurz in seinem Laden und brachte mir dann ein mit Stoffstreifen verschnürtes Paket. »Es sollte alles passen. Vielleicht halten die Sachen sogar eine Woche, wenn er aufpasst.« Mit einem nervösen Lachen fügte er hinzu: »Nimm ihn nur nicht zu irgendwelchen Partys mit.«
Dunkelheit kroch über den Himmel, als wir den Palast erreichten. Im letzten Moment fiel mir ein, in welchem Zustand sich meine eigenen Sachen befanden, nachdem ich im Rinnstein gesessen hatte. Ich konnte es den Wächtern nicht verdenken, dass sie Grimassen schnitten, als ich ihnen sagte, wir seien Gäste des Prinzen.
Sie mussten allerdings von Salzleck gehört haben, denn ihm blieb kaum Zeit genug, seinen Ring hervorzuholen, als sie uns auch schon passieren ließen. Ich war froh, dass sie nicht nach meinem fragten. Ein Wächter führte uns hinein und übergab uns der Obhut von Bediensteten, die uns zu unseren Zimmern führen sollten.
»Kommst du allein damit zurecht?«, fragte ich Salzleck und deutete auf das Paket.
Er nickte.
»Na gut. Dann sehen wir uns beim Bankett.«
Ich ließ mich weiter durch den Palast führen und bekam allmählich ein Gefühl für die gesamte Anlage. Diesmal achtete ich genau auf den Weg und versuchte, meiner geistigen Karte jede Abzweigung und jeden neuen Flur hinzuzufügen. Ich gewann den Eindruck, dass das Gebäude oft verändert worden war – vermutlich weil der Prinz hier eine zusätzliche Küche wollte und dort ein Schwimmbecken –, und dass es der allgemeinen Struktur an Logik mangelte. Dennoch glaubte ich, eine recht gute Vorstellung vom Grundriss zu haben, als wir schließlich mein Zimmer erreichten.
Sofort stellte ich fest, dass es durchsucht worden war. Niemand hatte es durchwühlt; nichts war beschädigt, nur mein sechster Sinn warnte mich. Als ich dann gezielt Ausschau zu halten begann, bemerkte ich die Hinweise sofort. Am deutlichsten war es daran zu erkennen, dass die schmutzigen Kleidungsstücke, die ich auf dem Boden zurückgelassen hatte, jetzt an anderer Stelle lagen. Natürlich hätte es dafür auch andere Erklärungen geben können, aber Bedienstete hätten das Bett gemacht und aufgeräumt. Und
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