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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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tragen. Wie sich herausstellte, passte die Kleidung perfekt, und der Stoff, aus dem sie bestand, war herrlich weich. Sauber und stilvoll gekleidet, fühlte ich mehr Zuversicht. Hier stand ein neuer Easie Damasco, bereit, sich ganz oben in der castovalanischen Gesellschaft zu bewegen und die Pläne von grausamen Diktatoren und ehemaligen Bürgermeisterinnen zu vereiteln.
    Salzlecks Zimmer befand sich am Ende des Flurs und das von Estrada auf halbem Weg dorthin. Als ich auf Zehenspitzen an ihrer Tür vorbeischlich, hörte ich, dass sie mit jemandem sprach, und zwar so leise, dass ich kein Wort verstand. Ein Mann antwortete ihr, ebenso leise, und ich erkannte seine Stimme.
    Was machte Hauptmann Alvantes in Estradas Zimmer?
    Nun ja, vielleicht war es gar nicht so seltsam. Alvantes wusste sicher über den Krieg im Castoval Bescheid, auch wenn der Prinz keine Ahnung davon zu haben schien. Wahrscheinlich kannte er auch Estradas Rolle bei dem Konflikt. Er musste daran gedacht haben, dass Moaradrid vielleicht gegen sie aktiv wurde, wenn sich die Dinge nicht nach seinen Wünschen entwickelten. Sosehr ich den Hauptmann auch verabscheute, ich musste einräumen, dass er das Castoval in seinem Schwarz-Weiß-Denken besser verstand als die meisten Altapasaedaner. Jedenfalls, solange er sich mit Estrada beschäftigte, beschäftigten sich beide nicht mit mir. Wenn sie den Tag mit Diskussionen verbrachten … umso besser für mich.
    Eine weitere Überraschung erwartete mich, als ich Salzlecks Zimmer erreichte. Am Vorhang vor der Türöffnung hing ein Zettel mit dem handschriftlichen Hinweis: Der Riese ist im Stall untergebracht worden. Ein kurzer Blick ins Zimmer ließ mich den Grund dafür erkennen. So bequem die Betten auch waren, sie hielten offensichtlich das Gewicht eines Riesen nicht aus. Das große Himmelbett war in der Mitte durchgebrochen, und die beiden Hälften lagen aufeinander – dies erklärte das Krachen, das ich vor einer Weile gehört hatte. Ich grinste bei der Vorstellung, wie Panchettos Diener Salzleck inmitten der Trümmer gefunden hatten. Kein Wunder, dass sie der Ansicht gewesen waren, der Riese sei im Stall besser aufgehoben.
    Ich verbrachte die nächsten fünf Minuten damit, durchs Labyrinth des Palastes zu irren. Wenn ich jemals Prinz werden sollte, dachte ich währenddessen, würde ich die Anordnung geben, in meinem Domizil in regelmäßigen Abständen Lagepläne auszuhängen, damit sich Besucher zurechtfanden. Schließlich begegnete ich einem Dienstmädchen, das einen geradezu riesigen Wäschekorb trug.
    »Kannst du mir den Weg zum Stall zeigen?«
    Sie starrte mich an, als hätte ich nach dem Weg zum Unterwäscheschrank des Prinzen gefragt. Plötzlich erinnerte ich mich an den Ring, den ich bekommen hatte. Ich hielt der jungen Frau die Hand vors Gesicht und sagte: »Ich bin Gast. Noch einmal: Kannst du mir erklären, wie ich zum Stall komme?«
    Sie stellte den Korb ab, deutete durch den Flur und stammelte: »Da runter, dritter Torbogen rechts, die Treppe hinab, dann nach links, nach rechts, ganz bis zum Ende, wieder nach links, über den Hof, und du bist da.«
    Ich dankte ihr und ging los, froh über mein gutes Gedächtnis. Die von dem Dienstmädchen erwähnte Treppe führte in den unteren Bereich des Palastes, in die laute, stinkende Welt der Gesindequartiere, Küchen, Lagerräume und Werkstätten. Dort fühlte ich mich sofort zu Hause und musste ein wenig zerknirscht zur Kenntnis nehmen, dass meine neue Kleidung die geschäftigen Dienstmädchen und rotgesichtigen Köche veranlasste, vor mir zu knicksen oder sich zu verbeugen.
    Der in der Wegbeschreibung erwähnte Hof erwies sich als kleiner ummauerter Garten, in dem Kräuter, Gewürze und Gemüse wuchsen. Ein greiser Gärtner zog den Hut vor mir und murmelte etwas Unverständliches.
    Aus reinem Unbehagen fragte ich: »Ist das der Stall?«, obwohl man blind, taub und ohne Nase sein musste, um ihn nicht als solchen zu erkennen.
    Offenbar war es genau die Art von Dummheit, die man von Adligen erwartete, denn der Gärtner nickte energisch, brummte einige weitere unverständliche Silben und wandte seine Aufmerksamkeit dann einem Beet mit Kopfsalat zu.
    Ich musste nicht lange nach Salzleck suchen. Er saß zwischen zwei großen Heuhaufen und mampfte zufrieden, umgeben von einigen faszinierten Stalljungen.
    »Hallo, Salzleck«, sagte ich.
    Er sah mich an und strahlte. Auch er war sauber – vermutlich hatten ihn die Stallarbeiter gewaschen. Außerdem waren

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