Im Schatten der Königin: Roman
er eines Tages einen Erben aus eigenem Blut brauchte, dann hätte er sich nur auf einmal zu erinnern brauchen, dass er Barbara Cross ja ein rechtsgültiges Versprechen gegeben hat, um sein Kind mit ihr zu legitimieren. So etwas ist in diesem Land nun weiß Gott öfter passiert in den letzten Jahrzehnten. Erst als er sicher war, dass er das Cross-Kind nicht brauchen würde …«
»Und Harkness?«, unterbrach ich. »Du hast mich nie gefragt, wie mein Gespräch mit ihm verlaufen ist, obwohl ich dir gar nicht gesagt hatte, dass er schon tot war, als Appleyard und ich auf der Humphrey-Farm ankamen.«
»Also wirklich, Sir«, tat er beleidigt und gab mir die leere Lederflasche zurück. »Ihr vergesst, dass John Appleyard lange vor Euch in Cumnor war, weil Ihr noch nach Abingdon geritten seid. Appleyard hat gleich nach seiner Ankunft über Euch und den toten Knecht losgezetert, und es dauerte keine Stunde, bis das ganze Gesinde davon wusste.«
Das mochte die Wahrheit sein, doch George Harkness war immer noch das lose Ende in diesem Wollknäuel aus Fäden, die immer verschlungener wurden. Auch Frobishers Aussage, Harkness sei gekündigt worden, weil er von einem Treffen mit Barbara Cross und einem Kind berichtet habe, erklärte nicht den Umstand, dass er bereits am Samstag wusste, dass der gesamte Haushalt von Cumnor am folgenden Sonntag zum Jahrmarkt gehen würde. Ich stand auf und wollte gerade damit anfangen, in dem kleinen Gemach auf und ab zu gehen, als die Tür sich öffnete. Herein kam nicht etwa ein erboster Anthony Forster, den ich halbwegs erwartet hatte, sondern Edith Odingsells, die an der Schwelle stehen blieb, die Hände in die Hüften stemmte und sagte: »Ich kann mich nicht erinnern, Euch erlaubt zu haben, mein Gemach zu Eurem Hauptquartier zu machen und meinen Whiskey zu trinken, Tom Blount!«
Mir war nicht danach, vor Frobisher wie ein kleiner Junge behandelt zu werden. Noch weniger war mir daran gelegen, sie vor Frobisher nach Amys Briefen zu fragen, denn was Frobisher erfuhr, das würde auch Mrs.Ashley bald wissen. Also biss ich in den sauren Apfel und entschuldigte mich.
»Das mit dem Whiskey tut mir leid. Eigentlich sollte Claire Latimer uns etwas Branntwein bringen. Frobisher, du solltest nachschauen, wo sie bleibt.«
»Damit ich dem Herrn des Hauses wieder in die Finger laufe?«, fragte er entsetzt.
»Wenn das geschieht, dann weise darauf hin, dass ich dich geschickt habe«, sagte Edith Odingsells, die auf meine Entschuldigung hin erst verblüfft und dann verständnisvoll dreingeblickt hatte. Dumm war sie nie gewesen und musste erfasst haben, worum es mir ging, als ich Frobisher loswerden wollte. »Mein Schwager wird kaum auch mich in den Keller oder ins Jenseits befördern wollen, und das müsste er, wenn er dich jetzt wieder einsperrt.«
»Auf das Wort einer Dame zu vertrauen ist Ehrensache«, sagte Frobisher bedeutsam und sauste aus dem Zimmer, als hetze ihm der Teufel hinterher, mutmaßlich, um so schnell wie möglich wieder da zu sein.
Sowie sich die Tür wieder hinter ihm geschlossen hatte, fragte ich: »Habt Ihr John Appleyard die Briefe so schnell abgehandelt, Edith?«
Erst als sich ihre Miene veränderte, wurde mir bewusst, dass ich sie nicht mehr Edith genannt hatte, seid wir Kinder gewesen waren. Die strenge Falte zwischen ihren Brauen glättete sich. Sie ließ die Arme sinken und klang geradezu verlegen, als sie entgegnete: »Nein. Er hat sie nicht.«
Ich hatte aufgehört, zu zählen, wie oft ich es an diesem Tag sagte, doch es fiel mir immer noch nichts Besseres ein: »Was?«
»Nein, Tom, er hat sie nicht. Und es kommt noch besser: Er wusste überhaupt nichts von ihnen. Das Mädchen hat Euch belogen, als sie sagte, sie hätte John Appleyard von den Briefen erzählt.«
»Das kann doch nicht wahr sein. Er hat Euch angelogen, da bin ich sicher, und …«
»Ich habe ihm Rizinus ins Bier gegeben«, unterbrach mich Edith Odingsells ungeduldig. »Das wirkt schnell. Ihr Männer seid doch alle gleich: wehleidig, wenn euch nur ein Nagel auf den Zeh fällt. Er war fest davon überzeugt, im Sterben zu liegen, und hat mir eine halbe Lebensbeichte geliefert.«
»Vielleicht hat er Euch durchschaut«, sagte ich, nach Strohhalmen greifend, weil ich es nicht wahrhaben wollte, dass ich immer noch so klug wie vorher war. »Euch etwas vorgegaukelt.« Und weil ich es nie fertiggebracht hatte, von Edith Odingsells einen Schlag einzustecken, ohne auch einen auszuteilen, setzte ich hinzu: »Frauen
Weitere Kostenlose Bücher