Im Schatten der Königin: Roman
Calvinisten vom Kontinent anfreunden können. Für unsereins war das nicht einfach gewesen, denn wenn es in einem Monat wider die Bischöfe und Mönche ging, so im nächsten gegen die Priester, die Gottesdienste in Englisch halten wollten statt in Latein. Meine Gemahlin Margery stammt aus einer katholischen Familie; unsere Kinder mit lateinischen und englischen Gebeten gleichermaßen zu erziehen, war eine Überlebensmaßnahme meinerseits. Die Regenten für den jungen König Edward – erst der Herzog von Somerset und dann John Dudley – hatten versucht, uns wirklich zu Protestanten zu machen, aber dann war Mary gekommen, und mangelnde Achtung den Heiligen gegenüber war zum ersten Zeichen für Sünden geworden, die einen auf den Scheiterhaufen bringen konnten. »Ihr Engländer«, sagte Diego Vargas einmal zu mir, »könnt gar keinen richtigen Glauben mehr haben. Ihr seid alle Marranos . Gott helfe euch.« Er erklärte mir das Wort nicht. Später fand ich heraus, dass die Spanier damit die Juden und Moslems bezeichneten, die Christen geworden waren und trotzdem weiter heimlich ihrem alten Glauben anhingen. Nicht, dass es von den einen wie den anderen noch welche in Spanien gab, das sagten mir jedenfalls die Leute in Philipps Gefolge. Wenn ich mir überlegte, dass Königin Mary aus England ein zweites Spanien machen wollte, verursachte es mir mehr als Magengrimmen, als Marrano bezeichnet zu werden. Zumindest diese Gefahr war halbwegs gebannt: Philipp war der erste von Elizabeths Freiern gewesen, der erste Ausländer, der sie um ihre Hand bat, und sie hatte ihn abgewiesen. Ein Dienstagmittag war keine Zeit für eine Messe. Trotzdem schlug mir der Geruch von brennenden Kerzen und Weihrauch entgegen, als ich die Kapelle betrat. Amy hätte das gefallen. Der alte Robsart war nie mehr als ein lauwarmer Anhänger der Reform gewesen, was sich als Glück herausstellte, als die Dudleys unter Mary im Tower landeten, aber seine Tochter doch zu einem Kuckuck im Nest ihrer neuen, protestantischen Familie machte. Ich weiß, dass die Leute heute denken, John Dudley wäre nur ein Anhänger der Reform gewesen, weil es ihm Einfluss im Kronrat einbrachte und weil es die Lady Jane Grey beeindruckte, die er schließlich zur Königin machen wollte, nachdem er sie mit Guildford verheiratete. Nun, niemand kann in eines anderen Mannes Seele blicken, und John versuchte sich am Ende zu retten, indem er zum alten Glauben zurückkehrte. Aber vorher sorgte er dafür, dass seine Kinder Bischof Cranmers neues Gebetsbuch in und auswendig kannten und niemand sie Römlinge nennen konnte.
Amy konnte bestenfalls zwei Gebete auf Englisch; ansonsten betete sie auf Latein, obwohl sie kein Wort davon verstand. Robins Schwester Mall versuchte ihr so freundlich wie möglich zu sagen, das in Gegenwart der Familie sein zu lassen, weil es John Dudleys Protestantismus unglaubwürdig wirken ließ, wenn seine Schwiegertochter wie eine Katholikin betete. Amy nahm dies als Spott und Zurückweisung. Das weiß ich, weil sie es mir erzählte, Jahre später, als sie zu mir und Margery nach Kidderminster kam und manche Worte getauscht wurden, die besser nie gesagt worden wären.
Ich atmete einmal tief ein und aus. Dann trat ich an sie heran.
Man hatte Kerzen um Amy herum aufgestellt, um sie in ein warmes Licht zu tauchen. Um den Hals trug sie ihre Lieblingskette mit dem juwelenbesetzten R als Anhänger. Das Licht, der Schmuck … beides sollte wohl dazu dienen, den Eindruck zu erwecken, als habe sie sich nur kurz zur Ruhe gelegt. Wer auch immer es versucht hatte, es war ihm nicht gelungen, und das lag nicht nur an den Wachsflecken auf dem grünen Samt ihres Kleides.
Natürlich sah Amy nicht so aus, als ob sie schliefe; keine Leiche tat das, und ich hatte genügend in Frankreich gesehen. Aber der plötzliche Tod hinterlässt uns Sterbliche meist mit verrenkten Gliedern, mit verzerrtem Mund und aufgerissenen Augen. Wenn es derlei bei Amy gegeben hatte, dann hatten Forster und die Seinen dafür gesorgt, dass nichts davon zurückgeblieben war. Ihre Stirn war glatt, bis auf zwei feine Falten, dem einzigen Zeichen dafür, dass sie nicht mehr das junge lebenslustige Mädchen war, das ich vor vielen Jahren kennengelernt hatte. Ihre Augenlider mit den langen, dunklen Wimpern waren geschlossen, und desgleichen ihr Mund, feingezeichnet, doch viel blasser, als ich ihn je im Leben gesehen hatte. Die Grübchen, die sich immer in ihre Wangen gruben, ob sie nun lachte oder weinte,
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