Im Schatten der Königin: Roman
Ich bin eine ehrliche Haut, ja, das bin ich. Der ehrliche Ned, so nennt man mich.«
»… von dem Mädchen, in das der Teufel gefahren ist, vor zwei Jahren«, beendete ich meinen Satz, ohne mich um seinen Einwand zu kümmern.
»Drei«, verbesserte der Wirt, wie er es schon einmal getan hatte. »Vor drei Jahren. Taten wir das? Ich kann mich gar nicht mehr besinnen.«
»Ich dafür umso besser. Sag mir, was ist aus ihr geworden? Wo lebt sie jetzt?«
Der Wirt kratzte sich die Bartstoppeln.
»Sir, das ist nun wirklich schon eine Weile her, und ganz ehrlich, das Mädchen hat doch am Ende zugegeben, dass sie die Nägel, die sie ausgespuckt hat, vorher im Mund verborgen hielt, und dass sie das Latein auswendig gelernt hatte, ohne zu wissen, was es bedeutete.«
»Ach, hat sie das?«, fragte ich erstaunt. »Das ist mir neu. Allerdings hat sich damals so viel anderes ereignet, dass es mir entgangen sein wird. Vor zwei Jahren … oder dreien.«
Der Wirt nickte eifrig.
»Doch, das hat sie, das hat sie. Ihr seht also, es lohnt sich ganz und gar nicht, mit ihr zu sprechen. Sie kann Euch nichts Wahres über den Teufel erzählen.«
»Nun, irgendwer wird sie wohl zum Lügen verleitet haben«, meinte ich freundlich, »und ist der Teufel nicht der Vater der Lügen?«
Mit so einer Bemerkung hätte ich am Hofe sicher jemanden dazu gebracht, mir eine ähnlich geistreiche Antwort zu geben, doch hier, in diesem Gasthaus, verschränkte der Wirt nur seine Arme vor der Brust und nickte bedächtig.«
»Und der gleiche Teufel soll mich holen, weil ich mich nicht auf ihren Namen besinnen kann«, bohrte ich nach. »Nun sei so gut und verrate ihn mir und wo ich sie finde.«
»Warum sollte ich das wissen?«, fragte er misstrauisch. »Ich bin doch nur …«
»… der ehrliche Ned«, vollendete ich. »Der Wirt, der über alles in Abingdon Bescheid weiß. Oder etwa nicht?«
Statt einer Antwort hob er beide Schultern in die Höhe. Ich seufzte, holte eine Münze aus meinem Säckel und ließ sie zwischen meinen Fingern wandern. Es war eine der neuen, die nicht mehr Marys oder Edwards, sondern bereits Elizabeths Gesicht trugen, und ich fragte mich, ob sie in ein paar Jahren wieder ein neues Antlitz tragen würden, wenn Elizabeth wirklich vorhatte, Robin zu heiraten: das der jungen Schottenkönigin oder das einer der verbleibenden Grey-Schwestern vielleicht? Es mochte mir gelingen, die Wahrheit über Amys Tod herauszufinden, oder auch nicht. Aber wenn Frobisher und der Wirt mich nicht belogen hatten, dann waren die Leute jetzt schon überzeugt, dass Robin seine Gemahlin umgebracht hatte, und würden jedem folgen, der zum Aufstand gegen einen mörderischen Prinzgemahl aufrief, genau wie ich von Anfang an befürchtet hatte.
»Der Name, er liegt mir nun fast selbst auf der Zunge«, heuchelte ich, und der Wirt griff zu. Die Münze mit dem Gesicht der Königin verschwand in seinem Ärmel, und er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.
»Barbara Cross, Sir«, sagte er. »Barbara Cross. So heißt sie. Ihre Eltern haben damals behauptet, dass sie nach London gegangen ist, aber Paxton, der Wollhändler, schwört, dass er sie erst letztes Jahr in Oxford gesehen hat. Allerdings hat sie so getan, als ob sie ihn nicht erkannt hat, also war er sich seiner Sache nicht wirklich sicher.«
»Cross?« Mir schwante etwas. »Sie ist nicht zufällig mit Agnes Cross verwandt, die bei Mrs.Owen in Diensten steht? Und die Eure Base ist?«
»Eine sehr entfernte Verwandtschaft, Sir«, beeilte er sich, mir zu versichern. »Mit Agnes ist sie sehr viel enger verwandt. Und mir haben die Eltern genau wie allen anderen erzählt, Barbara wäre in London. Ob Ihr sie dort oder in Oxford sucht, bleibt Eure Sache.«
Ich erwog, noch eine Münze oder zwei zu opfern, und entschied mich dagegen. Manchmal muss man auf sein Gefühl hören, und meines sagte mir, dass er mir alles verraten hatte, was aus ihm herauszuholen war, zumindest heute, und er auch mit weiterem Geld nichts mehr hinzufügen würde. Drohungen wollte ich mir aufheben, bis gar nichts mehr ging.
In Oxford war alles andere als eine genaue Ortsangabe, und ich konnte meine Zeit nicht damit vertun, von Tür zu Tür zu gehen und nach jungen Frauen zu fragen, die einmal Barbara Cross geheißen hatten. Trotzdem hatte ich mein Geldstück nicht völlig verschwendet: Ich wusste jetzt von den Verwandtschaftsverhältnissen. Es fragte sich nur, was nötig sein würde, um Agnes Cross zu bewegen, mir den genauen Aufenthaltsort
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