Im Schatten der Königin: Roman
lieber Gatte und dürfe sie nicht töten. Ich stand damals mit John Dudley zusammen, weil er gerade die Erlaubnis erwirkt hatte, vier seiner Kinder mit Elizabeth, dem kleinen Edward und ihrer Base Jane Grey erziehen zu lassen; er war mitten in einer langen Rede darüber, wie schädlich es doch für alle Menschen, ganz besonders aber für königliche Sprösslinge sei, allein zu sein. In erster Linie sollte diese Rede überspielen, dass die erste Begegnung seiner Kinder mit meinem Mädchen kein Erfolg gewesen war, weil Elizabeth und sein Sohn Robin sofort zu streiten begonnen hatten. Worüber, das weiß ich nicht mehr. Aber sie schenkten sich immer noch wütende Blicke, während John Dudley mir über die Vorzüge gemeinschaftlicher Erziehung predigte. Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu, als auf einmal ein Rumoren durch die Galerie ging. Dann begannen die Schreie, und alle anderen Gespräche verstummten sofort. Wir wussten, was das bedeutete, vom hochrangigsten Herzog bis zur niedersten Magd; alle Menschen, die sich an jenem Tag in Hampton Court befanden, zweifelten nicht einen Moment daran, dass Kitty Howard nun zum Tode verurteilt war.
Ich dachte an jene andere Königin, die ihren Kopf verloren hatte, meine Verwandte Anne Boleyn, und machte einen Schritt auf mein Mädchen zu, um sie wegzubringen. Elizabeth war weiß wie Schnee geworden. Und da sah ich, dass der dunkelhaarige Junge, mit dem sie gerade noch gestritten hatte, ihre Hand ergriff. Robin flüsterte ihr etwas ins Ohr und zog sie fort, aus dem Gedränge der Höflinge vor der Galerie hin zur nächsten Treppe. Dort begannen sie, zu rennen. Man mochte es für ein Wettrennen zwischen zwei Kindern halten, und John Dudley rief seinem Sohn tatsächlich ärgerlich hinterher, nun sei wirklich nicht die Zeit für dergleichen. Keiner der beiden drehte sich um, und ich war dem Jungen von ganzem Herzen dankbar. Gewiss, seither waren Jahre vergangen. Gewiss, inzwischen konnte der gleiche Freund ein Mörder sein. Er war unbestritten der ehrgeizige Sohn eines ehrgeizigen Vaters. Ein schlechter Ehegatte. Und ein Mann, der mein Mädchen ins Gerede gebracht hatte.
Aber war er ein zweiter Seymour?
»Ein Navigator ist kein Arzt«, sagte ich eindringlich. »Kann er sich da wirklich sicher mit der Diagnose sein?«
»Wäre er sonst zu Rate gezogen worden?«, gab Cecil gleichmütig zurück, und damit hatte er natürlich recht. Ich war zu ihm gekommen, und nicht umgekehrt. Ich sollte mich jetzt nicht zieren, sondern meine Bitte vorbringen.
»Mrs.Ashley«, sagte Cecil, bevor ich den Mund öffnen konnte, »die Wahrheit ist doch, dass Dinge, die hübsch anzusehen, aber in ihrer Wirkung schädlich sind, schnell ersetzt werden können durch harmlosere Annehmlichkeiten. Aus den Augen, aus dem Sinn, wie der Volksmund zu sagen pflegt.«
Damit hatte er allerdings den Finger auf den wunden Punkt gelegt, doch nicht so, wie er wohl glaubte. Mein Mädchen genießt es, wenn man ihr Komplimente macht, und seit ihrem Thronantritt hat sie weiß Gott nicht nur mit Robin Dudley gelacht und gescherzt. Aber wie sie selbst zu mir gesagt hatte, war sie sich stets sehr bewusst, dass diese Aufmerksamkeiten der Königin galten, nicht Elizabeth Tudor. Ich denke nicht, dass sie auch nur einem der anderen Höflinge vertraute, was die Aufrichtigkeit seiner Zuneigung betraf. Ob sie nach dem Lord Admiral je wieder einem Mann vertrauen konnte, stand ohnehin in den Sternen, selbst wenn es nicht um ihre Krone ginge. Robin Dudley war eine Ausnahme, weil sie ihre Kindheit geteilt hatten. Ja, man konnte hübsche junge Galane ersetzen, aber nicht eine gemeinsame Vergangenheit und nicht eine so alte Freundschaft. Wenn Robin Dudley morgen sterben würde, dann, dachte ich, und bei dem Gedanken wurde mir sehr kalt, dann kann es sein, dass sie überhaupt niemanden mehr in ihr Herz lässt. Wie lange Gott mein eigenes Leben noch währen lässt, das weiß ich nicht, und wenn ich starb, dann gab es niemanden mehr, für den sie nicht ausschließlich die Königin war.
Cecil musste in meiner Miene gelesen haben, dass meine Gedanken nicht in seinem Sinn verliefen, also setzte er noch etwas hinzu: »Und dann gibt es ja auch schöne Dinge, die nicht nur schädlich sind, sondern sogar vernichten, weil niemand die Gefahr beizeiten erkannt hat. Ich bin weiß Gott nie ein Freund der papistischen Religion gewesen, das wisst Ihr, Mrs.Ashley, und ich trauere um Erzbischof Cranmer und unsere anderen Märtyrer, die unter der
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