Im Schatten der Leidenschaft
an. Eine Brise ließ die Frische des Morgens ahnen, und sie schauderte, als ihr Nachthemd an ihren Körper gedrückt wurde. Sie zögerte und dachte an den Mantel hinter der Küchentür. Aber als sie im Wind ein leises Jaulen hörte, vergaß sie die Kälte und rannte die Auffahrt hinunter, ohne sich darum zu kümmern, daß der Kies sich in ihre nackten Fußsohlen bohrte.
Hugo hatte ihren Ausruf in der Halle gehört, doch er brauchte eine ganze Weile, um die Brandy-Trägheit zu durchdringen, in die er endlich geraten war, zusammengesunken über den Tasten des Klaviers, mit einer flackernden Kerze neben sich.
Er hob den Kopf und blinzelte verwirrt, horchte, aber er hörte nur die üblichen leisen nächtlichen Geräusche des Hauses. Er schüttelte den Kopf und ließ ihn wieder auf seinen Arm sinken; ein Finger seiner freien Hand begann die Melodie eines Stückes von Scarlatti zu ertasten. Doch langsam durchdrang ein kribbelndes Unbehagen seinen halbbewußten Zustand. Er hob noch einmal den Kopf und horchte. Wieder hörte er nichts, hatte aber das unverwechselbare Gefühl, daß etwas im Haus fehlte.
Chloe? Sie schlief tief und fest über ihm, umgeworfen von Milch mit Brandy und körperlicher und seelischer Erschöpfung.
Sein Kopf senkte und hob sich dann wieder. Er rappelte sich von der Bank auf und stand einen Augenblick schwankend da, während er versuchte, richtig zu sich zu kommen. Er würde hinaufgehen und sich davon überzeugen, daß sie wirklich in ihrem Bett schlief, vielleicht würde es ihm danach auch gelingen, selbst zur Ruhe zu kommen.
Mit leicht schwankendem Gang umrundete er die im Weg stehenden Gegenstände in der Bibliothek und trat in die Halle hinaus. Ein Windstoß öffnete die angelehnte Haustür, und er sah sie mit verwirrtem Blinzeln an. Dann verschwand seine Verwirrung, und sein Kopf klärte sich etwas.
Wieder Chloe! Wahrscheinlich war sie hinausgegangen, um diesen verdammten Köter zu suchen - und wanderte jetzt mitten in der Nacht und ganz allein durch die Landschaft. Hatte sie nicht das leiseste Gefühl für Selbstschutz? Es war eine Erleichterung, daß er seinen Zorn auf jemand anderen außer sich selbst richten konnte, und eine Erleichterung, daß sie damit wieder in das Bild des sturen, ungezogenen Schulmädchens mit Hang zu Auseinandersetzungen paßte, das er sich von ihr machen wollte.
Er ging zur Tür, und mit jedem Schritt schwand der Brandydunst mehr aus seinem Kopf. Er starrte in den dunklen Hof hinab. Kein Anzeichen von ihr. Er hatte keine Ahnung, wie lange es her war, seit er das erste Geräusch gehört hatte. Es hätten sowohl fünf als auch zwanzig Minuten sein können - Brandy konnte einem das Zeitgefühl völlig durcheinanderbringen.
Dann hörte er Hundegebell, schwach aber wild, irgendwo vom Ende der Auffahrt her. Das erklärte Chloes Ausflug, wenn auch nicht ihre Gedankenlosigkeit. Warum zum Teufel hatte sie ihn nicht gerufen?
Er machte sich auf den Weg, die Auffahrt hinunter in Richtung auf das Bellen. Die Bäume an beiden Seiten bildeten einen Hohlweg und ließen auch nicht das kleinste bißchen Licht vom Himmel durch. Er sah angestrengt nach vorn, versuchte, das Geräusch ihrer Schritte oder den Umriß ihrer Gestalt zu erkennen. Das Bellen kam näher, und seine Wildheit klang noch heftiger. Der Hund mußte irgendwo gefangen sein. Er ging schneller und war dankbar, daß er die Windungen und Kurven der Auffahrt kannte wie seine Westentasche.
Er rief mehrmals ihren Namen, bekam jedoch keine Antwort. Vermutlich achtete sie ausschließlich auf Dantes Bellen und hörte daher nichts anderes. Er kam am Ende der Auffahrt aus der Allee heraus, und plötzlich hörte das Bellen auf. Eine unangenehme Vorahnung ließ ein Schaudern durch sein Inneres gehen. Ohne zu wissen, warum, rannte er plötzlich zu den zerfallenden Torpfosten hinab. Als er sie erreichte, erfüllte auf einmal ein Schrei zitternd die Luft, der plötzlich abbrach.
Er stürzte auf die schmale Straße vor seinem Tor hinaus. In wilder Eile sah er in beide Richtungen, als ein immer heftiger werdendes Bellen die Nacht durchdrang. Hundert Meter die Straße hinunter konnte er eine Gruppe beweglicher Schatten erkennen. Ein schmerzliches Jaulen unterbrach das Bellen, und die Schatten wanden sich wie in einem wilden Tanz. In diesem Augenblick kam der Mond hinter den Wolken hervor, und die Messer in den Gürteln der Gestalten glänzten.
Das mußte Jaspers Werk sein, es gab keine andere Erklärung. Und dann hatte er nur
Weitere Kostenlose Bücher