Im Schatten der Leidenschaft
schon mir ihr zurecht. Dein Pferd bedrängt sie.«
Als Crispins Hand auf ihrem Zügel blieb, fühlte sie sich plötzlich unbehaglich. Sie schaute nach vorn.
Eine Postkutsche stand an der Kreuzung, und daneben auf der Wiese drei Männer. Sie schauten die Straße hinauf den näherkommenden Reitern entgegen. Chloe wußte plötzlich, daß etwas nicht stimmte und daß sie in Gefahr war. Sie blieb einen Augenblick lang ganz unbeweglich und sammelte sich, wie eine Gazelle, wenn sie den Löwen wittert.
Dann hob sie die Hand mit der Peitsche und senkte sie in einem Ruck, so daß sie Crispins Handrücken an ihrem Zügel traf. Er stieß einen Schmerzensruf aus und zog seine behandschuhte Hand zurück, und im selben Augenblick drückte Chloe Maid Marion die Fersen in die Flanken, so daß sie die Straße hinabgaloppierte. Als sie an der Kutsche vorüberkamen, sprang einer der wartenden Männer auf die Straße, als wolle er ihnen folgen. Chloe beugte sich tief über den Hals ihres Pferdes und flüsterte ihm ermutigend zu, drängte es weiter. Die Rufe hinter ihr waren laut, und sie hörte, daß Crispin sie mit donnernden Hufen verfolgte. Der Hengst war schneller als die Stute - er hatte längere Beine und eine kräftigere Brust - und sie wußte, daß sie ihren Vorsprung nicht lange würden halten können.
Eine Gruppe von Leuten vor ihnen, die eine Fahne schwangen, versperrten die Straße, und verzweifelt ritt Chloe mitten in die Gruppe. Sie schloß sich um sie wie zwei Hälften einer Auster um die Perle, und sie hielt die Stute am kurzen Zügel, weil sie fürchtete, daß sie sonst auf einen ihrer unfreiwilligen Beschützer trat. Crispin würde nie bis zu ihr durchkommen können. Und selbst wenn: Was sollte er inmitten einer solchen Menge schon tun?
Das Gewühl wurde immer dichter und zog sie mit in Richtung Stadt. Sie konnte ihr nicht mehr entkommen, selbst wenn sie es gewollt hätte, also ließ sie sich einfach treiben und fragte sich nur, wo all die Leute wohl hinwollten und was sie dort vorhatten.
Hugo erfuhr von einem Mann, der dabei war, eine Hecke zu schneiden, daß ungefähr vor einer Stunde ein Mann und eine Frau in Richtung Manchester an ihm vorbeigeritten waren. Zufrieden, daß er auf der richtigen Spur war, ließ Hugo sein Pferd angaloppieren. Jetzt blieb noch die Frage: Waren sie abgebogen in Richtung Shipton oder weitergeritten zur Stadt? Doch er hatte Glück, denn ein kleiner Junge, der in der Nähe der Kreuzung mit einem Wurm an einer gebogenen Stecknadel im Straßengraben fischte, hatte die beiden in Richtung Manchester reiten sehen. Er erinnerte sich deshalb, weil die Dame angehalten und ihn gefragt hatte, ob er schon etwas gefangen habe.
Das klang ganz nach Chloe. Aber was zum Teufel hatten sie vor? Wollten sie sie in der Stadt verstecken? Das wäre natürlich einfach.
Hugo zögerte einen Augenblick und überlegte, ob er doch nach Shipton reiten und dort versuchen sollte, irgendwelche Hinweise zu bekommen. Aber immerhin bestand noch eine geringe Möglichkeit, daß er sie einholte, bevor sie in der Stadt waren. Irgend etwas hatte sie vielleicht auch aufgehalten. Mit der innigen Hoffnung, daß Chloe auch weiterhin trödeln würde, ritt er weiter.
Die vielen Leute auf der Straße behinderten ihn, aber er nahm an, daß sie auch die beiden anderen behindert hatten. Flüchtig fragte er sich, was eigentlich los war, doch seine Verfolgung beschäftigte ihn zu sehr, als daß er sich genauer damit beschäftigt hätte. Und dann sah er Crispin.
Der junge Mann kämpfte sich durch die Menge, erstaunlicherweise in Hugos Richtung. Hugo lenkte sein Pferd an den Straßenrand hinter eine große Eiche, die ihn verbarg, und wartete, bis Crispin ihn erreicht hatte. Da Chloe nicht bei ihm war, stellte sich die Frage, ob sie schon fort war, womöglich unterwegs in einer Kutsche.
Die Antwort würde er bald haben, denn Crispin schlug mit seiner Reitpeitsche um sich, weil er der hinderlichen Menge entkommen wollte.
Schließlich gelang es ihm, aber seine Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn Hugo Lattimer erschien plötzlich vor ihm auf der Straße.
»Nett, daß wir uns treffen, Crispin.« Sir Hugo lächelte, doch bei diesem Lächeln bekam Crispin eine Gänsehaut. Sein entschlossenes, unrasiertes Kinn hatte etwas unauslöschlich Bedrohliches, seine grünen Augen funkelten. Auch wenn Hugo lächelte, so hatte Crispin doch das schreckliche Gefühl, im nächsten Augenblick verschlungen zu werden.
Er hob seine Peitsche, um
Weitere Kostenlose Bücher