Im Schatten der Leidenschaft
»Ich wäre an Ihrer Stelle sehr vorsichtig, Miss.«
Chloe legte den Kopf zu Seite, als dächte sie über diesen Rat nach, und sagte dann mit verwirrter Stimme: »Ich habe doch nur gesagt, daß sie wirklich nett zu sein schien. Natürlich, schon etwas fett, aber ich glaube, manche Männer mögen das. Und sie hatte ein freundliches Lächeln und wirkte wie ein fröhlicher Mensch.«
Samuel schien sich zu verschlucken, und Hugo begriff gerade noch rechtzeitig, daß er in eine tiefe Grube der Würdelosigkeit fallen würde, ganz gleich, wie er darauf reagierte.
Und so beachtete er ihre Bemerkung nicht weiter und wandte sich mit einer Bemerkung über die Ereignisse des Nachmittags an Samuel.
Chloe trieb ihre Stute zu einem wilden Galopp die Straße hinunter an, ihr Haar flatterte hinter ihr und die warme Luft blies an ihren Ohren entlang. Die Geschwindigkeit schien die Wirren des Tages zurückweichen zu lassen, und ihr Kopf wurde klarer, ihr Körper entspannter; sie bewegte sich fließend mit den langen, anmutigen Sprüngen des Pferdes.
Sie hatte sich entschieden, wie sie den Angriff auf Hugo Lattimers Zitadelle beginnen würde. Mit ständiger Provokation. Sie würde ihn immer und immer wieder herausfordern. Sie wußte instinktiv, daß er wieder genauso auf sie reagieren würde wie schon einmal. Und da diese eine Erfahrung in ihr einen Wirbel aus Neugier und Sehnsüchten in Bewegung gesetzt hatte, sah sie eigentlich keinen Hinderungsgrund, warum nicht ihrer beider Interessen in diesem Zusammenhang befriedigt werden sollten. Und wenn das erst erreicht war, würde sie beginnen, eine Zukunft in Angriff zu nehmen, die Hugo aus seiner selbstverschuldeten Einsamkeit zurück in die Welt bringen und sie selbst aus dem Einflußbereich ihres Bruder entfernen würde.
KAPITEL 12
Als Chloe am folgenden Morgen in die Küche kam, saß Hugo in hirschlederner Hose, geputzten Stiefeln und weißem, leinenem Halstuch am Tisch.
»Willst du einen Besuch machen?« Chloe füllte einen Becher mit Milch und trank in tiefen Zügen.
»Bei deinem Halbbruder«, sagte er, schob seinen Teller weg und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Um die Angelegenheit mit Maid Marion zu regeln. Du hast doch gesagt, daß du sie behalten willst, oder?«
»O ja, natürlich.« Sie betrachtete ihn nachdenklich, und er ertappte sich bei dem Gedanken, daß ihre Augen wie Enzianblüten in der Sonne leuchteten. »Werdet ihr auch noch andere Dinge besprechen?«
Hugo schüttelte den Kopf. »Ich werde durchblicken lassen, was ich denke, aber es wird wohl kaum nötig sein, weiter bis in die Einzelheiten zu gehen, Mädel.«
»Nein, das glaube ich auch nicht«, stimmte sie ihm zu und suchte sich aus einer Schüssel mit Stachelbeeren eine besonders saftige heraus.
»Jasper ist ja nicht dumm, was ich von Crispin nicht unbedingt behaupten würde.« Sie steckte sich die Beere in den Mund und biß sie mit den Schneidezähnen auf. Dann schloß sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, für einen Moment die Augen, als der süße Saft ihr in die Kehle rann und das Fleisch der vollen, runden Frucht ihren Mund füllte. »Wirst du allein gehen?«
Hugo war einen Augenblick lang hingerissen von der puren Sinnlichkeit ihres Gesichtsausdrucks und versäumte so den eigentlichen Sinn der sorgfältig gestellten Frage. Wie konnte ein so sinnliches Wesen voller irdischer Bedürfnisse in Elizabeths reinem, bleichem Schoß gewachsen sein? Doch sie war auch den Lenden von Stephen Gresham entsprungen. Der düstere Gedanke kam und verging erstaunlich schmerzlos.
Er stand auf. »Ich werde nur ein paar Stunden weg sein. Wenn du Lust hast, heute nachmittag mit mir zu kommen, Mädel, ich habe eine längst fällige Inspektion meiner Ländereien vor, da kannst du mich begleiten. Da bekommt Dante auch einmal richtig Bewegung.«
»Das wäre nett«, sagte Chloe etwas abwesend. »Gehst du jetzt gleich?«
»Bald.« Er ging zur Tür. »Samuel, ich glaube, es wäre an der Zeit, daß Billy den Hof saubermacht. Das hat er in letzter Zeit sträflich vernachlässigt.«
»Da haben Sie recht«, sagte Samuel. »Ich sag’s ihm.« Ein erfreutes, kleines Lächeln erhellte seine Züge, als Hugo die Küche verließ, und er nickte mit heimlicher Zufriedenheit. »Willst du Rührei, Mädel?«
»Oh, nein danke, Samuel.« Chloe war schon auf dem Weg aus der Küche. »Ich glaube, ich habe heute keine Lust auf Frühstück.« Nach dieser außergewöhnlichen Bemerkung huschte sie aus der Küche und schloß die Tür
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