Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Toilette. Ich werde nachher meine Turnschuhe abwaschen, wenn wir reingehen, denkt er. Hoffe nur, ich trete nicht in was Festes.
Nach etwa drei Metern schirmt ein großer, alter Holunderbusch die von der Straße einfallenden Lichter ab. Sehr gut. Vorsichtig stakst er über Haufen aus Backsteinen und Glasscherben– das Letzte, was er will, ist, in diesem stinkenden Dschungel den Halt zu verlieren– und tritt hinter den Busch. Schon beim Aufknöpfen der Jeans empfindet er Erleichterung und stößt ein genüssliches Ächzen aus, als sich der nach Bier riechende Strahl dampfend in die Nachtluft ergießt.
» Wir dachten, du pisst, und nicht, dass du wichst!«, schreit Rav. » Kannst du nicht warten, bis wir daheim sind?«
Das Pinkeln scheint ewig zu dauern. Ashok verlagert das Gewicht, während seine Blase pumpt und pumpt. Nachdem der erste Druck vorüber ist, wünschte er, er könne aufhören und den Rest so lange halten, bis er auf der Toilette im Seaview ist. Er mag es nicht, mit dem Rücken so zur Dunkelheit zu stehen, und wird das Gefühl nicht los, dass er nicht allein ist. Er versucht, den Schließmuskel anzuspannen, aber es hat keinen Zweck. Der Strom verlangsamt sich zwar, bricht aber nicht ab, und auf diese Weise würde er nur noch länger brauchen.
Von der Straße her hört er, wie der Zaun verschoben wird, danach das Rutschen und Scheppern achtloser Schritte auf dem Schutt, den er selbst gerade überquert hat.
» Wo bist du?«, ertönt lallend und überlaut Tonys Stimme.
» Hier hinten«, antwortet er.
» Ach so«, meint Tony. Ashok sieht ihn im Gegenlicht, dann steht er neben ihm. » Rück mal«, sagt er.
» Ich kann nicht«, entgegnet Ash.
» Na schön. Aber beschwer dich nicht, wenn deine Füße was abkriegen.«
» Warst du nicht eben erst auf der Straße?«, fragt Ashok.
» Lager«, gibt Tony zurück.
Das Geräusch von Tonys Reißverschluss ist zu hören, dann knackst urplötzlich irgendetwas hinter ihnen in der Dunkelheit in den Büschen an der nackten Hauswand der Eisenwarenhandlung.
Ashok und Tony starren sich, augenblicklich stocknüchtern, entsetzt an.
» Was war das denn?«, fragt Tony mit weit aufgerissenen Augen.
» Kein Schimmer«, sagt Ashok.
» Bloß ein Fuchs oder so was«, meint Tony.
» Weiß nicht«, erwidert Ashok. » Klang irgendwie größer.«
Tony nickt, seine Blase ist vergessen. Draußen auf der Straße hören sie die anderen lachen und Witze reißen. » Kommt raus, ihr zwei!«, dringt Ravs Stimme durchs Laub.
» Pssst!«, zischt Tony mehrmals. Sie drehen sich um und spähen in die Brachfläche. » Hallo?«, ruft er zögernd.
Stille. Sie stehen nebeneinander und spitzen die Ohren, um irgendein Geräusch aufzuschnappen. Unheimlich, denkt Ashok. Wie vorhin, als ich allein war: als ob da jemand wäre, der zuhört.
Tony schüttelt den Kopf. » Dachs.«
» Dachs?«, fragt Ashok ungläubig. » Bei euch gibt’s Dachse in der Stadt?«
» Weiß ich doch nicht«, meint Tony. Schaut auf seine Hose und zieht den Reißverschluss mit einem Ruck hoch. » Komm.« Er wendet sich ab und macht sich auf den Weg zurück zum Zaun.
Ash wartet ein paar Sekunden und lauscht noch einmal. Jetzt ist nichts mehr zu hören, nur das Scharren auf dem Pflaster draußen und das Rascheln der Blätter neben seiner Schulter. Da ist nichts, denkt er. Bloß die Geräusche, die man eben manchmal hört. Dinge, die sich rühren und wieder beruhigen, irgendwelches Zeug, das von Dächern rutscht.
Ein Schrei dringt aus der Dunkelheit: angsterfüllt, gurgelnd, und bricht ab. Das war kein Dachs. Ein Mädchen, das war die Stimme einer Frau. Irgendwo da draußen.
Er hört Tony fluchen und die Stimmen der anderen, die plötzlich alarmiert klingen. Im Gebüsch klatscht etwas, stürzt, wird wieder still.
» Scheiße«, sagt Tony noch einmal. » Verdammt. Das war… Oh mein Gott!«
Rav und Jez stürzen durch den Zaun, indem sie das letzte Stück aus seiner Verankerung reißen. » Was war das?«, fragt Jez.
» Ich… ich glaube, es war eine…«, stammelt Ash.
Unbeholfen rennt Tony, immer der Anführer, über die Backsteinhaufen zur Mitte des Grundstücks. » Hallo?«, ruft er. » Wo sind Sie?«
Hinten in der Ecke sind Kampfgeräusche zu hören und ein unterdrücktes Stöhnen. Die drei Nachzügler heften sich ihrem Freund an die Fersen und rennen verteilt auf das Geräusch zu. Ich habe Angst, denkt Ash. Ich bin kein Held. So etwas mache ich eigentlich nicht. Mit dem Turnschuh stößt er gegen etwas
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