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Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Marwood
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streicht, bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckt.
    Amber hofft, dass Vic schon wach ist, und ist enttäuscht, das Haus still vorzufinden, als sie die Tür öffnet und den Duft des Potpourris auf dem Tisch in der Diele einatmet. Sie schaut kurz ins Wohnzimmer und lässt mechanisch den Blick schweifen. Ruhig und dunkel und sauber: das Sofa ordentlich; die Glasplatte des Korbcouchtischs leer bis auf das Paar Untersetzer, das hier seinen Platz hat; die Zeitungen ordentlich in den Zeitschriftenständer geräumt; der Läufer gesaugt; die Bilder gerade; und der Fernseher an der Wand ausgeschaltet, nicht nur auf Stand-by. Alles, wie es sein soll. Das Einzige, was fehlt, ist Vic. » Hallo?«, ruft sie.
    Von der Rückseite des Hauses ertönt leises Gejaule. Die Hunde sind noch im Garten. Wahrscheinlich waren sie wieder die ganze Nacht draußen. Nicht, dass er es absichtlich tut; vielmehr kommen die Hunde in seiner Gefühlslandschaft einfach nur nicht vor. Es sind ihre Hunde, nicht seine, und Vic hat ein Talent dafür, Dinge, die ihn nicht interessieren, auszublenden.
    Amber ist völlig erledigt. Sie stellt ihre Handtasche auf den Boden in der Diele und geht durch die Küche– mühsam zusammengesparte Ikea-Schränke, eine Blumenvase auf dem Klapptisch, gelbe Wände, die das Sonnenlicht hereinholen, selbst wenn es bedeckt ist–, um die Hintertür aufzumachen.
    Der Tag ist schon warm. Aber Mary-Kate und Ashley sitzen zitternd unter den Geranien, empfindlich wie nur echte Rassehündinnen es sein können. Sie beugt sich hinunter und nimmt sie auf den Arm, wie immer überrascht, dass sie tatsächlich nicht sehr viel mehr zu wiegen scheinen als die Schmetterlinge, nach denen ihre Rasse benannt ist. Zart, ulkige Schnauzen, das Fell weich wie Distelwolle. Sie drückt sie fest an die Wangen und wird durch stürmische Liebkosungen belohnt.
    Dann gibt sie ihnen zu fressen, kocht sich einen Becher Tee und geht nach oben zu Vic. Sie braucht ihn. Muss wissen, dass die Welt noch dieselbe ist.
    Er schläft noch. Vics Arbeitstag in Funnland beginnt um drei Uhr nachmittags und endet abends um elf. Anschließend geht er häufig noch aus, um abzuspannen– genau wie ein Büroangestellter, nur eben sechs Stunden später. Sie leben antizyklisch zum Rest der Welt und zueinander. Gelegentlich begegnen sie sich, wenn ihre Schicht beginnt, aber manchmal sprechen sie wochentags nur am Telefon miteinander oder beim Zubettgehen. Das ist der Preis, den sie für das Leben, das sie sich aufgebaut haben, zahlen. Und es ist ein gutes Leben, versichert sie sich selbst. Ich hätte nie zu glauben gewagt, mal so ein Leben zu haben.
    Mary-Kate und Ashley folgen ihr dicht auf den Fer sen; im dämmrigen Licht, das durch die dünnen Vorhänge dringt, wuseln sie über den Teppich und schnüffeln an Vics abgelegten Kleidungsstücken. Amber steht einen Moment am Fußende des Betts, der Teebecher wärmt ihre Finger, und betrachtet die vertrauten Züge. Wundert sich einmal mehr, was ein Mann wie dieser mit ihr will. Mit seinen dreiundvierzig Jahren ist er immer noch attraktiv, sein dunkles Haar noch voll, und die feinen Fältchen, die sich auf seiner wettergegerbten Haut auszubreiten beginnen, lassen ihn nur noch erfahrener wirken und nicht müder wie sie selbst. Man käme nie darauf, dass wir sieben Jahre auseinander sind, denkt sie. Was will er mit mir, wenn er jede andere haben könnte?
    Sie stellt den Becher auf seinem Nachttisch ab. Schlüpft aus ihren zweckmäßigen Arbeitsschuhen, wirft ihre Jacke über den Stuhl. Fängt den moschusartigen Geruch ihrer Achselhöhlen auf. Eine weitere Müdigkeitswoge erfasst sie, sie denkt an das blaurote Gesicht des Mädchens, an die geplatzten Kapillargefäße und möchte weinen.
    Vic regt sich und öffnet die Augen. Braucht einen Moment, um deutlich zu sehen. » Oh, hallo«, sagt er. » Wie spät ist denn?«
    Sie sieht auf ihre Armbanduhr. » Zehn nach elf.«
    » Oh.« Er befreit einen trainierten Arm aus dem Bettzeug– damals, als sie sich kennenlernten, reichte schon eine Umarmung, um sie schwach werden zu lassen und mit Lust zu erfüllen– und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. Die wirr abstehenden Strähnen legen sich sofort. Das ist Vic: eine einzige striegelnde Handbewegung, und er ist bereit, der Welt gegenüberzutreten.
    » Du bist spät dran«, sagt er, und ein leiser Tadel liegt in der Bemerkung.
    » Da steht ein Becher Tee.« Sie deutet in die Richtung, setzt sich aufs Bett und reibt ihre müden Waden. »

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