Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
überhaupt übertönt ihr eigener Herzschlag alles andere. » Chloe?«, sagt sie. Dann wiederholt sie den Namen, als würde das irgendetwas ändern. » Chloe ?«
Sie durchforstet ihr Hirn nach anderen Maßnahmen, die die Leute im Fernsehen mit Bewusstlosen anstellen. » Kaltes Wasser«, sagt sie.
» Was?«
» Wenn wir ihr Wasser ins Gesicht spritzen, wird sie das wieder wach machen.«
Bel hat keine Erfahrungen mit Bewusstlosen. Aber die Erklärung klingt plausibel. Sie jedenfalls würde bestimmt wach werden, wenn man ihr kaltes Wasser über den Kopf gösse.
» Wir haben nichts, worin wir es transportieren könnten«, sagt sie mit Blick auf den Bach.
» Na ja, dann müssen wir sie eben hinbringen«, meint Jade. » Auf.«
Skeptisch mustert Bel die lautlose Puppe. » Ich will sie nicht anfassen. Schau doch, sie ist voller Blut.«
Jade erstaunt sich selbst damit, wie praktisch ihre Antworten ausfallen, egal, worum es geht. » Na gut«, sagt sie. » Du nimmst ihre Beine. Ich nehme das obere Ende.«
Bel ist immer noch mulmig zumute. » Ihr Arm. Der sieht so aus … Bitte tu ihrem Arm nicht weh.«
» Ich glaube, der Schaden ist schon angerichtet«, meint Jade.
Die Wiese ist voller Disteln. Jade hat Chloe unter den Schultern gepackt, ihr Kopf hängt nach unten. Sie sieht, wie Körperflüssigkeiten ihre Bluse und Schenkel verschmieren, und spürt die Kratzer, als sie sich rückwärts durch die Pflanzen bewegt. Das werde ich nie vergessen, kommt ihr in den Sinn. Das ist ein Tag, an den ich mich mein ganzes Leben erinnern werde. Sie bleibt mit dem Absatz an einem Büschel hängen, schwankt und fällt beinahe hin. Chloes Kopf federt hoch und fällt zum Boden zurück. Jade schaudert, als ihr der grässliche Schädel vorn gegen das Höschen prallt.
» Lieber Gott, mach, dass alles in Ordnung mit ihr ist«, keucht Bel. » Glaubst du, dass alles gut mit ihr ist? Wir brauchen einen Erwachsenen. Der wird wissen, was man machen muss.«
Jade lässt beinahe ihr Ende der Last fallen. » Spinnst du?«
» Was meinst du damit?«
» Schau sie dir an, Bel. Ihren Zustand! Die werden uns in den Knast stecken.«
Bels Gesicht wir noch röter, als sie den Ernst der Lage begreift. » Aber …«, widerspricht sie, » es war ein Unfall. Das sagen wir ihnen. Es war ein Unfall.«
» Jaja, genau«, höhnt Jade. » Und das werden sie uns auch glauben, wie?«
» Warum denn nicht?«
» Weil ich Jade Walker heiße, zum Beispiel.«
» Aber ich –«, beginnt Bel.
» Aber gar nichts. Du bist mit mir zusammen. Jeder in diesem Ort hält es für ein Wunder, dass ein Walker bis jetzt noch keinen umgebracht hat. Nein. Wir müssen sie wach kriegen und uns dann überlegen, was wir als Nächstes machen.«
Chloe stößt eine Art Gurgeln aus. Die Mädchen sehen nach unten, übermannt von plötzlichem Optimismus. Sehen die blau angelaufenen Lippen, die hin und her rollenden Augen, und spüren, wie ihr Optimismus sofort wieder schwindet. » Los, komm«, sagt Jade. » Wir machen sie wieder wach. Ich weiß, dass wir’s können.«
Sie hebt die Schultern wieder an, und Bel ergreift die Knöchel. Mühsam schleppen sie ihre Last weiter, Pflanzen behindern ihren Weg, und die Sonne brennt Bel in die Augen. Sie gelangen ans Ufer des Bachs mit seiner niedrigen, zerklüfteten Böschung und dem seichten, grobkieseligen Grund. Ein paar Meter zu ihrer Linken liegt eine Viehsuhle; die Böschung ist auf beiden Seiten eingerissen, und dazwischen befindet sich ein breites Becken, tief genug für große, feuchte Mäuler, die dort saufen können, ohne haufenweise Schlamm aufzuwirbeln. Jade nickt in diese Richtung, und die Mädchen passieren die Böschung.
Auf der Wiese stand zuletzt Vieh. Die Böschung ist glitschig, der Boden fünfzehn Zentimeter tiefer, graubrauner Matsch. Schwankend befördern sie ihre Last diese Rutschbahn hinunter, dabei müssen sie immer wieder ihre Füße aus dem Schlamm befreien, in dem sie stecken bleiben.
Jade verliert einen Schuh und stößt keuchend einen Fluch aus. Sie wird zurückgerissen und landet auf dem Hintern, bis zum Hals im Wasser.
Chloe entgleitet ihr und fällt zur Seite. Bel, die selbst im Schlamm feststeckt, gerät ins Wanken, lässt los, schlägt wild um sich und fällt, weil sie plötzlich freikommt, nach vorn auf die anderen beiden. Unter ihrem Gesicht spürt sie Chloes verschmiertes Gesicht, gerät in Panik, rollt sich in den Matsch und kommt nach Luft schnappend wieder hoch. Jade ist irgendwo da unten, wird von dem
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