Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Hälfte der Fahrgeschäfte und Buden noch nicht geöffnet hat, als auf ein besonderes Verlangen nach einem Schleudertrauma. Verantwortlich dafür ist ein erstaunlich attraktiver Mann mit dunklem Haar und pantherhaft-graziösen Bewegungen. Er ist gepflegt, ohne Piercings und Tätowierungen, wie man sie auf Händen und Armen von Menschen in diesem Gewerbe erwarten würde. Kirsty fragt sich, warum ein so gut aussehender Mann hier arbeitet statt zum Beispiel bei einer Modelagentur, und geht weiter.
Die meisten anderen Schreiberlinge stürzen schnurstracks auf die Büroräume zu, in der Hoffnung, dass Suzanne Oddie im Haus ist. Kirsty zögert, als Stan zum Café hinübergeht, und sieht, wie er sich wachsam an einen der draußen fest montierten Tische setzt. Er sieht immer aus, als arbeite er nicht, ist jedoch derjenige, der immer die wirklichen Knüller bringt. Häufig nutzt er die Überzeugung der meisten jungen Menschen aus, dass ein Mann auf der Stelle in einen Zustand kindlicher Unschuld zurückfällt, sobald seine Haare zu ergrauen beginnen; er bringt die Kellnerinnen zum Plaudern, wie sie selbst es nie schaffen könnte.
Ein weiterer Sicherheitsbediensteter ist vor dem Eingang zum Innfinnityland postiert, wo die Leiche gefunden wurde. Er debattiert mit dem Kollegen vom Star, hat die Arme nachdrücklich vor der Brust verschränkt und bewegt den den Kopf langsam und bestimmt von einer Seite zur anderen. Natürlich. Die Attraktion ist » aus Respekt« geschlossen. Das Spurensicherungsteam ist wieder weg, aber keiner darf hinein, um ein spektakuläres Foto zu schießen.
Außer Kirsty.
Sie findet den eingebildeten Wachmann vom Eingang hinter dem Teetassenkarussell, wo er eine Dose Fanta trinkt. Dieser Kerl hat Tätowierungen am Körper. Er hat zwar nicht LOVE und HATE auf den Fingerknöcheln stehen, aus seinem gestärkten blauen Kragen ragt jedoch das klitzekleine Stückchen eines Spinnennetzes hervor.
Sie bleibt neben ihm stehen und sagt: » Hallo.«
Er lässt die Dose sinken und schaut sie an. Ein wenig ähnelt er einem Windhund, nur dass Windhunde nicht so gemeine, wässrig-blaue Augen haben.
» Ich wette, Sie sind alle froh, wieder arbeiten zu können«, sagt sie.
Er mustert sie noch einmal von oben bis unten, dann dämmert es ihm. » Ah, richtig, Sie sind Journalistin«, sagt er.
» Stimmt.« Sie streckt ihm die Hand hin. » Kirsty Lindsay.«
Er schüttelt sie kraftlos, genau wie sie erwartet hat.
» Und Sie sind?«
» Jason«, sagt er unbestimmt.
» Hallo, Jason«, sagt sie und zückt ihre Geldbörse. » Ich wette, Sie haben die Schlüssel zu all dem hier, stimmt’s?«
Sie treffen sich hinter dem Café. Er will nicht riskieren, dabei gesehen zu werden, wie er neben ihr übers Gelände spaziert. Neben den Behindertentoiletten gibt es eine Tür, die zur Lagergasse führt. Sie verläuft zwischen dem Begrenzungszaun und der Rückseite einiger Verkaufsbuden und Sonderattraktionen: altmodisches Ringewerfen, Schießstand, Dr. Wickeds Kicherbude, Erlebnis NASA , Geisterbahn und Innfinnityland.
Auf den ersten Blick glaubt man, die Gasse sei mit Leichen übersät. Toten, nackten Körpern. Kirsty schaudert vor Entsetzen, bevor sie realisiert, dass es sich dabei lediglich um die Überreste achtlos entsorgter Wachsfiguren handelt, die hier im Sonnenlicht verrotten.
Jason taucht zwischen der Schießbude und der Geisterbahn auf. Er wirkt gleichermaßen verschlagen und zufrieden mit sich selbst. Seinen Vorgesetzten eins auszuwischen, denkt sie, ist ihm genauso wichtig wie die zwanzig Pfund, die er in der Hosentasche hat. Mit einer Kopfbewegung bedeutet er ihr, ihm zu folgen, und geht auf den Hinterausgang von Innfinnityland zu. Sie beeilt sich hinterherzukommen. Sie befinden sich nun auf der Rückseite. Dort macht sich keiner Gedanken um die Lackierungen und verzierte Simse, und sie erkennt, dass die Attraktionen in schäbigen Containern untergebracht sind: Dort, wo die Verkleidung sich gelöst hat, schauen Teile des Isoliermaterials heraus; dicke schwarze Kabel führen wie aufgerollte Spaghetti vom Verteilerkasten zum Zaun.
» Fünf Minuten«, sagt er. » Mehr kriegen Sie nicht.«
» Mehr brauche ich auch nicht«, sagt sie. Sie möchte schnell ein paar Fotos schießen, ein bisschen die Atmosphäre einsaugen, das ist alles. Es wird nicht lange dauern. Wenn ihr Gedächtnis sie beim Verfassen des Artikels im Stich lässt, wird sie einfach ein paar Details erfinden. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass jemand in
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