Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Berichte über Mördermädchen und ihre Mördermethoden.
Jason Murphy, Marias kleiner Schakal von einem Ehemann, nähert sich langsam und widerwillig.
» Bel«, sagt Jade.
Amber erschauert. Diesen Namen hat sie seit Jahrzehnten nicht gehört. Dieses Mädchen ist sie nicht mehr. Alles an ihr hat sich verändert. Nur durch Kontinuität bleibt man dieselbe, und fast so lange, wie sie sich zurückerinnern kann, ist sie Amber Gordon.
» Bitte«, sagt Amber wieder. » Du musst gehen.«
Himmel, denkt sie. Sie sieht zehn Jahre jünger aus als ich. Eine Woge der Abneigung gegenüber dieser Frau überkommt sie. Gut geschnittenes Haar– nicht auffällig, aber akkurat fallend und glänzend, mit raffinierten Strähnchen. Faltenlose Haut. Die Garderobe nicht protzig-teuer, aber eindeutig nicht von irgendwelchen Marktständen. Die schwarzen Lederstiefel allerdings sind erstklassig. So festes und zugleich nachgiebiges Leder bekommt man nicht bei Primark. Die Haft ist dir also gut bekommen, denkt sie.
Sie blickt auf. Jason Murphy ist nur noch wenige Meter entfernt, schleicht auf sie zu wie ein Fuchs. Hat er mitbekommen, dass etwas im Gange ist? Etwas mehr, als er vermuten würde? Sie hat schon immer den Verdacht, dass sich hinter Jasons demonstrativer Gleichgültigkeit ein scharfer Blick verbirgt– der nur darauf aus ist, Gelegenheiten beim Schopf zu packen.
Sie reißt sich zusammen. » Hier ist kein Zutritt«, sagt sie streng. » Selbst wenn– wenn die Lage eine andere wäre, dürften Sie nicht hier hinten sein. Das ist nur für Personal.«
Jade hat ihre Sprache immer noch nicht wiedergefunden. Amber schaut die Gasse entlang und nickt Jason zu. » Ich weiß nicht, wie sie nach hier hinten gekommen ist«, sagt sie zu ihm. » Und ich frag auch nicht danach. Schaff sie einfach nur weg.«
Jason tritt einen Schritt nach vorn und ergreift Jades Arm. Sie zuckt zusammen, als hätte man sie hinterrücks überfallen, und windet ihren Arm aus seinem Griff, als würde er sie verbrennen.
» Los«, sagt Jason. » Keine Debatte.«
Sie dreht sich um und sieht Amber mit weit aufgerissenen Augen an. » Bel«, sagt sie noch einmal.
Amber gibt vor, sie zu ignorieren. Jedes Mal, wenn sie diesen Namen hört, versetzt es ihr innerlich einen Schock. Hör auf. Lass das. Oder willst du vielleicht, dass sie es herausfinden? Ja? Willst du Menschenaufläufe vor deiner Haustür und Scheiße im Briefkasten?«
Sie dreht sich um und geht durch die Tür zurück nach drinnen.
Sobald sie sich dort in Sicherheit befindet, versagen Amber die Beine. Sie sackt gegen die verspiegelte Wand, rutscht daran entlang auf den Boden und starrt in ihr grau-weißes Spiegelbild. Ihre Hände und Füße sind kalt.
» Ah, na ja«, sagt Jason und lässt Kirstys Arm in dem Augenblick los, in dem er weiß, dass sie nicht mehr gesehen werden. » Pech gehabt.«
Er stellt sich darauf ein, sich auf die Hinterbeine zu stellen, sollte sie ihr Geld zurückverlangen, doch sie wirkt eigentümlich verstört und folgt ihm wie ein Zombie. Er versteht nicht genau, was er da gerade gesehen hat, weiß aber, dass es um mehr gegangen ist. Sie ist nicht einfach nur erwischt worden. Er könnte schwören, dass zwischen den zwei Frauen etwas abläuft; sogar, dass sie sich wiedererkannt haben. Vielleicht irrt er sich. Die Frau hier ist klein und zart und wäre Amber Gordon nicht gewachsen gewesen. Vielleicht hat sie es bei ihrem Anblick nur mit der Angst zu tun bekommen.
Den meisten Leuten ginge es so, denkt er und kichert in sich hinein. Diese Frau hat einen derart grimmigen Gesichtsausdruck, dass man ihr ohne Maske eine Rolle in Der Herr der Ringe hätte geben können– sogar wenn sie nicht diesen Riesenknubbel auf der Oberlippe hätte. Weiß Gott, was Vic Cantrell an ihr findet. Es muss irgend so ein Mutterding sein, um Sex kann es ja hundertprozentig nicht gehen. Nicht nach den Abenden, die er und Vic gehabt haben, in denen sie sich in den Nachtklubs herumgetrieben und diese Schlampen auf Urlaub gefickt und befingert haben. Ich muss ihn irgendwann mal fragen, denkt er, ob sie weiß, was er so treibt, wenn sie arbeitet. Vielleicht erlaubt sie es ihm ja. Weil sie es für die einzige Möglichkeit hält, ihn zu halten.
Das Schweigen der Journalistin ist beunruhigend. Ihr Gesicht ist seltsam grau, und sie umklammert den Riemen ihrer Tasche wie eine Schmusedecke.
» Ist schon okay«, versichert er ihr, als sie wieder in den Vergnügungspark hinaustreten. » Sie wird’s keinem erzählen.
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