Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
wahrscheinlich laufe ich ihr gar nicht über den Weg, vor allem dann nicht, wenn ich mich vom Vergnügungspark fernhalte. Sie wünscht sich inständig, ihr nicht ihre Telefonnummer gegeben zu haben. Weiß nicht, was da über sie gekommen ist.
In der Stadt herrscht reges Treiben, trotz der Bilder an den Zeitungsständen. Die Registrierkassen in den Pubs und Cafés laufen heiß, während die Presseleute sich darin versammeln und sich beim gewohnten Smalltalk gegenseitig die Neuigkeiten aus der Nase ziehen. Das Meer donnert über die Kieselsteine und schwemmt Indizien und Badegäste gleichermaßen davon. Das Polizeiabsperrband verwandelt sich rasch in Luftschlangen, die über die Promenade peitschen und an deren papierscharfen Kanten sich unachtsame Passanten verletzen können. Die Straßen sind voll von Arbeitsschutzbeamten, die Broschüren mit dem Titel Sorgen Sie für Ihre Sicherheit verteilen, feministischen Gruppen, opportunistischen Politikern, Kirchenvertretern, Kontaktbereichsbeamten und städtischen Tourismusangestellten, die Urlauber beruhigen. Mobile Imbisswagen parken in den absoluten Halteverbotszonen der Strandpromenade, in der Annahme, in der Gruppe sei man sicherer. Die Hotels sind ausgebucht, und den Cafés gehen die Schinkensandwichs aus. In der feuchtheißen Atmosphäre der Spielhalle kauern frustrierte Sonnenanbeter über Spielautomaten und sehen zu, wie ihr Geld– was soll’s– im Minutentakt Pfund um Pfund dahinschwindet. Funnland mit seinen hohen Mauern und Zufluchtsrevieren macht ein Bombengeschäft. Es gibt, hat man den Eindruck, nichts Besseres als einen Serienkiller, um den Tourismus anzukurbeln.
Kirsty kann an der Promenade nirgends einen Parkplatz finden und stellt ihr Auto schließlich vor dem Voyagers Rest ab (ohne Apostroph– sie wünschte, sie wäre weniger empfänglich für solche Sachen). Mit vors Gesicht gezogenem Schal kämpft sie sich eineinhalb Kilometer durch dasFußgängergewirr auf den Einkaufsstraßen Richtung Meer.
Vor dem Funnland hat sich eine Schlange gebildet wie an einem ganz normalen Tag. Sie wirft einen Blick auf die sich vorwärtsschiebenden Leute und fragt sich, ob Bel drinnen ist.
Eingehend betrachtet Amber Suzanne Oddies Haut. Sie ist glänzend, braun und straff und bietet keinerlei Hinweise auf ihr Alter. Und doch sieht man ihr jedes einzelne ihrer Jahre an. Das ist das Tolle an der Schönheitschirurgie und all dem andern Zeug, für das Frauen mit Geld so viel ausgeben, überlegt Amber. Es geht eigentlich gar nicht darum, dass die einen jünger aussehen lassen, sondern teurer.
Suzanne prüft die Bücher, die Stirn über ihrer Designerbrille aus Schildpatt ist gerunzelt. Ihr Rock, erkennt Amber, ist von Chanel. Unter dem Schreibtisch trommelt ein Stöckelabsatz auf und ab. An ihrer linken Hand trägt sie drei Ringe– einen Verlobungs-, einen Ehe- und einen Eternity-Ring, die Steine haben die Größe von Maiskörnern– und an der rechten einen Schlagring aus Turmalin. Amber kommt sich schäbig und minderwertig vor, wie sie so vor ihr sitzt. Aber das soll sie heute auch. Denn Suzanne trägt heute Machtgarderobe, um die Hackordnung zu demonstrieren.
» Achtzehn Entsorgungsbehälter für Tampons? Im Ernst?«
» Man braucht einen in jeder Kabine«, erklärt Amber.
» Warum stellen wir nicht nur welche draußen im Waschraum auf? Und legen Tüten auf die Spülkästen?«
Amber zuckt die Achseln. » Ihre Entscheidung. Meiner Meinung nach sparen wir dann an der falschen Stelle. Wegen der Klempner und Reinungskräfte, die kündigen werden. Ich glaube, Sie überschätzen das Verantwortungsbewusstsein unserer Durchschnittskundschaft.«
» Mhm«, macht Suzanne, der suspekt ist, dass eine Putzfrau so lange Wörter benutzt. Sie trommelt mit den Fingernägeln auf den Schreibtisch. Dann hebt sie den Kopf und wirft Amber einen scharfen Blick zu. » Na gut, aber irgendwo müssen wir Einsparungen vornehmen, Amber.«
Weshalb?, würde sie gern schreien. Aus welchem Grund? Dank des Mordes ist Whitmouth schließlich in aller Munde, und wir haben die beste Saison seit Menschengedenken. An der Kasse stehen sie bis zu einer halben Stunde an, bloß um reinzukommen. » Ach ja?«, fragt sie stattdessen leise.
» Ja. Wir haben einen Konjunkturrückgang, wissen Sie.«
Aha, denkt sie, klar. Konjunkturrückgang. » Aber wir schneiden hier doch gut ab«, hält sie dagegen, obwohl ihr klar ist, dass sie sich ihre Worte eigentlich sparen kann. » Wenn man bedenkt, wie viel Müll wir
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