Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
herauskommen.
Eine leise Stimme flüstert: Jackie. Sie schiebt sie beiseite. Nur weil sie ein egoistischer Hausgast war, hat sie es noch lange nicht verdient, ihren Job zu verlieren.
Scheiße, denkt sie. Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Da entdeckt sie Vic, der gerade die Walzerbahn bedient. Ein paar Mädchen in der Schlange sind offenbar auf ihn aufmerksam geworden, stoßen sich gegenseitig an und geben Kommentare ab, wie Mädchen dies immer tun. Sie spürt einen heftigen Schmerz im Kreuz und ist sich plötzlich auch der Blutergüsse auf ihren Schenkeln bewusst, als hätte sein Anblick die Schmerzen ausgelöst. Ich hoffe, dass der echte Vic bald wiederkommt; für den anderen hab ich nicht mehr viel übrig.
Vic sieht sie, und ein Lächeln zuckt über sein Gesicht. Er fühlt sich wieder ganz obenauf; der vertraute Adrenalinstoß treibt ihn an. Diesmal hält er wahrscheinlich tagelang an, wie in den alten Zeiten. Ja, denkt er, geh nur. Aber heute Abend bin ich wieder da. Und zwar wenn mir danach ist.
Er entdeckt die Mädchen in der Warteschlange und zwinkert ihnen mutwillig zu. Sieht, wie sie sich Blicke zuwerfen und in kollektives Gekicher ausbrechen. Es ist so leicht, denkt er. So verdammt leicht. Frauen sind einfach dazu da, dass man sie sich nimmt. Ein kurzes Entblößen deiner Arme, eine Bacardi-Cola, und du kannst alles machen, was du willst. Deshalb beibe ich bei ihr. Sie ist nicht so leicht rumzukriegen. Eine Frau mit ein bisschen Selbstachtung, das gefällt mir. Das und das andere.
Gestern allerdings war es mit der Selbstachtung nicht weit her, denkt er.
Die Mädchen kommen wieder vorbei; sie tun so, als sähen sie nicht hin, und lächeln einander affektiert zu. Er kennt die Nummer. Noch drei Runden, dann gehören sie alle ihm.
Er geht zur nächsten Gondel und bringt sie zum Drehen, sodass die Mädchen darin wohlige Angstschreie ausstoßen. Die Hautabschürfungen an seinen Handknöcheln beginnen allmählich zu verheilen, und als er die Rückenlehne umfasst, platzen sie ein wenig auf. Er mag dieses Gefühl. Dadurch fühlt er sich lebendig. Noch einmal bringt er den Wagen zum Kreiseln und lauscht dem Geschrei.
Amber will nicht im Vergnügungspark bleiben. Obwohl nur ein paar der Putzleute im Dienst sind, Abfalleimer leeren und zu den Fahrgeschäften eilen, wenn über Lautsprecher mal wieder ein Not-Wischeinsatz angefordert wird, ist ihr, als wüsste jeder, was Suzanne in ihrer vertraulichen Besprechung gerade gesagt hat. Sie geht in ihr Büro und sammelt ihre Tasche und ihren Mantel ein, den Schirm lässt sie da. An einem Tag wie heute ist er zwecklos; umgestülpt und kaputt, noch bevor sie am Zuckerwattestand ist.
Die Corniche ist so gut wie ausgestorben, jedoch erfüllt vom köstlichen Duft nach gebratenen Zwiebeln aus den Imbisswagen. Amber geht in Richtung Bushaltestelle und fühlt sich miserabel.
Alles tut ihr weh, teils aus Müdigkeit, teils wegen Vic und teils weil sich, wie sie festgestellt hat, schlechte Nachrichten immer zuerst in ihren Schultern bemerkbar machen.
Sie geht weiter, und ihr Blick fällt auf ein Knäuel von Menschen, die sich vor der Stadthalle eingefunden haben und lauthals Fragen stellen. Die Presse, vermutet sie. In der Mitte macht sie einige Stadträte aus, in Anzügen und mit ordentlich gescheiteltem Haar, wie es sich für den Anlass gehört. Mit einem Schaudern erkennt sie, dass eine der Journalistinnen, die am Rand der Meute steht, Jade Walker ist. In ihrer Nähe entdeckt sie Martin Bagshawe, der anscheinend an ihren Lippen hängt. Herrgott!, denkt sie, ich muss hier weg. Sie beschleunigt ihre Schritte.
Kirsty hat ihren MP 3-Player hervorgeholt. » … Sie wollen damit also tatsächlich sagen, dass sie darum gebeten haben?«
Der Vorsitzende des Stadtrats von Whitmouth wirft seinem Pressesprecher einen Blick zu und schaltet in Dementi-Modus. » Etwas Derartiges würde ich niemals behaupten«, erwidert er. » Sie verdrehen mir das Wort im Mund.«
Martin Bagshawe hält sich im Hintergrund und reckt den Hals, um zu verstehen, was gesprochen wird, doch der Lärm von der Strandpromenade macht das schwierig. Er hört sie » darum gebeten« sagen und denkt: Mein Gott, ganz schön mutig. Erinnert sich an Tina und ihren Spott, und denkt: Tja, da hat sie nicht ganz unrecht, wie?
» Eigentlich nicht«, meint sie.
» Ich habe lediglich gesagt, dass persönliche Verantwortung ebenfalls eine Rolle spielt«, erklärt der Stadtrat. » Das ist in keiner Weise das
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