Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Gleiche.«
» Die persönliche Verantwortung, nicht zufällig ermordet zu werden?«
Er lächelt unbehaglich und wünscht sich offensichtlich, sich auf diese Diskussion niemals eingelassen zu haben. » Sie würden doch auch nicht barfuß über ein Minenfeld laufen, oder?«
» Wenn ich wüsste, dass irgendwo auf einem Gebiet von einigen Tausend Quadratkilometern eine einzelne Landmine liegt und ich nach Hause müsste, würde ich mich wohl drauf einlassen, doch«, gibt sie zurück. » Wollen Sie sagen, dass Männer hilflose Opfer ihrer Triebe sind?«
» Nein, natürlich nicht. Aber Tatsache ist, dass es in dieser Stadt einen Mann gibt, auf den dies im Großen und Ganzen anscheinend zutrifft. Und ob es Ihnen nun gefällt oder nicht: Unsere jungen Frauen– und weiblichen Gäste– sollten das bedenken. Ein paar unserer Besucher– zugegebenermaßen die Minderheit– konsumiert zu viel Alkohol, und Alkohol macht Menschen leichtsinnig. Wir bitten diese jungen Frauen lediglich, auf ihre Sicherheit zu achten, das ist alles. Wir wollen keine weiteren Todesfälle in unserem schönen Familien-Feriendomizil.«
Flüchtig nimmt sie wahr, dass irgendwer sie beide belauscht. Sie schaut auf und sieht einen kleinen, rattengesichtigen Mann in einem Anorak, der so tut, als lese er. Er kommt ihr bekannt vor, aber es dauert einen Moment, bis sie ihn eingeordnet hat. Na klar, der Typ vom Strand. Einer dieser Spinner, die überall aufkreuzen, wo es Neuigkeiten gibt, gaffen und immer näher rücken, um ins Bild zu kommen. Er schenkt ihr ein schauderhaftes Lächeln, die Art von Lächeln, die darauf hindeutet, dass er nicht viel Übung darin hat. » Es wird Zeit, dass jemand sagt, dass es falsch war«, erklärt ihnen der Spinner. » In dieser Stadt gibt es Tausende von anständigen Menschen, aber darüber würde man nie was erfahren, so wie die von der Presse die Sache schildern.« Er hält inne, offenbar findet er, dass etwas mit seiner Aussage nicht stimmt. » Die meisten«, fügt er hinzu. » Die meisten von der Presse. Nicht alle.«
Der Stadtrat ergreift die Gelegenheit, sich aus einem heiklen Gespräch zu stehlen, und begrüßt den kleinen Mann mit einem fröhlichen Handschlag, als sei er ein Würdenträger, der zu Besuch ist. Sie fragt sich, ob es sich lohnt, noch einmal nachzuhaken. Aber in zwanzig Minuten gibt es im Polizeirevier eine Pressekonferenz. Also sollte sie sich lieber auf den Weg machen, falls es tatsächlich irgendwelche Neuigkeiten gibt.
Sie wirft einen Blick auf den gegenüberliegenden Bürgersteig und sieht gerade noch Bel, die davoneilt. Heiliger Himmel, denkt sie. Das ist wirklich das Letzte, was ich brauche. Bitte mach, dass sie mich nicht gesehen hat.
» … angezogen wie Nutten und johlen vor meinem Fenster rum«, sagt der Mann gerade. Er wirft ihr einen derartig sehnsüchtigen Blick zu, dass es ihr eiskalt den Rücken herunterläuft. Der Stadtrat legt ihm in einer wohl überlegten Geste die Hand auf den Oberarm, direkt über dem Ellbogen, wie ein gütiger Pfarrer es tun würde.
» Und wir möchten, dass Sie wissen, dass Ihre Anliegen Gehör bei uns finden«, sagt er.
Kirsty nutzt die Gelegenheit, sich abzuwenden, während die Hand noch dort liegt. Das Letzte, was sie will, ist, in eine weitere Diskussion mit dem Typen vom Strand hineingezogen zu werden. Sie ist ganz verkrampft vor Anspannung. Bel läuft in Richtung Strand. Dann gehe ich in die entgegengesetzte Richtung, denkt sie. Und mache einen kleinen Umweg zum Polizeirevier. Sie stopft den MP 3-Player in ihre Tasche, wirft dem Spinner ein Grinsen und ein versöhnliches Winken zu und überquert die Straße zum gegenüberliegenden Bürgersteig.
Amber findet Zuflucht im Schatten zwischen dem Fischstand und der Bude für Strandspielzeug und beobachtet, welchen Weg Jade einschlägt. Sieht, wie sie die Schultern gegen den Wind hochzieht und den Kragen aufstellt, um ihr Gesicht vor dem waagerecht fallenden Regen zu schützen. Sie nimmt die Gasse am Cross Keys vorbei und steuert die Fore Street an.
Verrückt, denkt sie. Was tu ich hier eigentlich? Mich verstecken? Ich lebe hier. Das ist meine Stadt.
Aber sie ist neugierig. Jeden Tag hat sie an diese Frau gedacht, wenn auch nur flüchtig. Die Bekanntschaft eines einzigen Tages hat sie auf Dauer zu Gefährtinnen gemacht, obgleich es den Anschein hat, dass dies zu unterschiedlichen Ergebnissen bei ihnen geführt hat. Jade wirkt wie aufgeblüht, als sei die Wiedereingliederung in die Gesellschaft für sie so
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