Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
bisher aufgrund seines berüchtigt niedrigen IQ s herumgekommen, aber alle prophezeien, dass er früher oder später dort landen wird.
» Ihr haltet euch wohl für The Human League, was?«, fragt er. Sein Kinn scheint an seinem Schädel zu baumeln, als sei es nie richtig festgewachsen, sodass seine Lippen immer feucht und schlaff wirken.
Jade bückt sich, hebt Grasbüschel und Erde auf und bewirft ihn damit. » Ich hab gesagt, verpiss dich, Shane!«
» Ich geh sowieso runter zur Bank. Ach, und Jade?«
» Was denn?«
» Hast du wieder was geklaut? Bloß weil Dad hinter dir her ist.«
» O Scheiße«, sagt Jade und lässt sich schwer ins Gras fallen. Noch nie ist Bel jemandem begegnet, der mit derartig sorgloser Gelassenheit flucht, als handelte es sich dabei einfach nur um Eigenschaftswörter. Es beeindruckt und nervt sie zugleich. Wenn ihr eins der Worte über die Lippen käme, die Jade benutzt, ohne sie anscheinend auch nur zu bemerken, würde sie tagelang eingesperrt. Bewundernd sieht sie sie an, die Hand noch immer an ihr Bein gepresst.
» Ich hasse dieses Scheißkaff.«
» Ich auch«, sagt Bel.
» Tut’s weh?«, fragt Jade.
» Bisschen.«
» Lass mal sehen.«
Bel zieht die Hand weg und zeigt ihr die faustgroße Schürfwunde auf ihrem Schenkel, um die sich bereits ein Bluterguss bildet. Stecknadelkopfgroße Bluttröpfchen sickern aus ihr hervor, dehnen sich aus und verschließen sie.
» Scheiße«, meint Jade anerkennend.
» Es tut nicht weh, nicht wirklich«, sagt Bel stolz.
Jade wirft noch einen giftigen Blick auf den davonstolzierenden Shane. » Mistkerl«, sagt sie. Und fügt hinzu: » Du solltest das auswaschen.«
» Ach, es hört schon wieder auf«, erwidert Bel.
» Es waren bloß zwanzig Pence«, sagt Jade. » Wie konnte er zwanzig Pence merken?«
» Erwachsene«, meint Bel bestimmt, » merken alles.«
Jedenfalls was mich angeht. Bei Miranda merken sie überhaupt nichts. Und wenn, finden sie eine Möglichkeit, mir die Schuld zu geben.
Sie erhebt sich und humpelt zur Mauer hinüber. » Was wird dein Dad machen?«, erkundigt sie sich.
Jade zuckt die Achseln. » Weiß der Geier. Aber ich geh ihm lieber ein Weilchen aus dem Weg.«
» Er wird dich doch nicht schlagen, oder?«
Jade tut empört, so wie man es ihr beigebracht hat. » Natürlich nicht! Wofür hältst du uns?«
Ja, denkt Bel. Am besten nicht drüber reden. Nicht, bevor ich sie besser kenne.
» Ich werd ’nen Riesenanschiss kriegen«, sagt Jade. » Am besten geh ich eine Zeit lang nicht heim. Vielleicht kann ich das Geld ja zurücklegen, und er denkt dann, er hätte sich geirrt.«
» Ja«, meint Bel. » Guter Plan.«
Jade seufzt. » Trotzdem halt ich mit dem Scheiß-Kitkat nicht durch bis zur Teezeit«, sagt sie.
» Ist schon gut«, sagt Bel. » Du kannst einfach mit zu mir kommen.«
Jade zieht die Augenbrauen hoch. Einladungen ist sie nicht gewöhnt und hat selbst natürlich noch nie eine ausgesprochen, selbst wenn es jemand gegeben hätte, den sie hätte fragen können. » Haben deine Mum und dein Dad denn nichts dagegen?«
» Stiefvater. Die sind im Urlaub«, erläutert Bel mit gekünstelter Unbekümmertheit. » In Malaysia.«
» Wie, und haben dich nicht mitgenommen?«
» Nein. Sie haben Miranda dabei. Ich war ungezogen, deshalb haben sie mich daheim gelassen.«
» Ganz allein?«
Bel wackelt mit dem Kopf. » Red keinen Quatsch. Romina ist da. Aber die macht, was ich ihr sage.«
KAPITEL 21
Im Inneren des Cafés ist es düster. Ihre Augen brauchen einen Moment, um sich darauf einzustellen und Amber zu entdecken, die ganz hinten in einer Ecke auf einem Sofa sitzt. Trotz der Dunkelheit ist ihr Gesicht zur Hälfte hinter einer riesigen Sonnenbrille verborgen. Kirsty weiß nicht genau, wie sie sich jetzt verhalten soll. Was tut man in so einer Situation? Lächeln und winken?
Während sie auf sie zugeht und die Züge der anderen Frau allmählich erkennbar werden, sieht sie, dass Ambers Gesicht ernst, ein wenig trotzig, aber auch ein bisschen ängstlich ist. Unentschlossen fixiert sie Kirsty, um ihren Anblick dann wieder ostentativ zu meiden, während diese sich zu ihr hindurchschlängelt. Sie fühlt sich genauso wie ich, denkt Kirsty. Sie weiß auch nicht, was sie tun soll oder warum sie hier ist.
Verlegen bleibt sie nun vor Amber stehen, die wie angewurzelt dasitzt.
» Hallo«, sagt sie. Und jetzt? Sollen sie sich die Hände schütteln? Küssen?
Sie tun keins von beidem. Kirsty stellt ihre Tasche auf den Tisch
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