Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
erwidert er. » Rufst du mich später noch mal an?«
» Ich versuche es, Liebling. Wir reden darüber, wenn ich heimkomme, okay?«
» Okay«, sagt er leise.
» Ich liebe dich«, sagt sie mechanisch.
» Ich dich auch«, erwidert er ebenso mechanisch. Sie denken gar nichts mehr dabei, wenn sie es sagen.
Sie drückt ihn weg und nimmt das andere Gespräch entgegen. » Kirsty Lindsay?«
» Um wie viel Uhr gehst du ins Bett?«, fragt Stan.
Sie zuckt nicht mit der Wimper angesichts dieser allzu großen Vertraulichkeit, weil sie weiß, dass er über die erste Druckdeadline ihrer Zeitung spricht. » Dreiundzwanzig Uhr dreißig für die erste Ausgabe«, gibt sie zurück. » Warum?«
» Nur zu deiner Information«, sagt er, » der Name ist Stacey Plummer. Der des Mädchens. Und die Bullen haben einen Mann zur Vernehmung mitgenommen.«
» Wozu vernehmen sie ihn?« Sie ist hellwach, zurück im Job, der Wein verflüchtigt sich aus ihrem Kopf, als hätte jemand einen Stöpsel gezogen. » Weißt du das genau? Was hast du gehört?«
» Hat irgendwas mit Fingerabdrücken im Spiegellabyrinth zu tun. Die dort nichts zu suchen hatten. Ein Beschäftigter vom Funnland, hat aber offenbar mit diesem Bereich nichts zu tun.«
» Ach, Scheiße.« Sie entspannt sich. » In dem Raum muss es Hunderte von Fingerabdrücken geben. Ist immerhin ein öffentlicher Ort, Herrgott noch mal!«
» Anscheinend nicht«, meint Stan. » Die haben dort einen am Eingang stehen, der Handschuhe verteilt. Ist ja auch naheliegend. Ich hab zwar nie drüber nachgedacht, aber natürlich wäre alles in Sekundenschnelle mit Abdrücken übersät, wenn man’s nicht täte. Aber so nicht. Dort findet man weniger Abdrücke als in einem durchschnittlichen Operationssaal. Bloß einzelne Rotzflecken in Hüfthöhe, wo irgendwelche Kinder gegen einen Spiegel gerannt sind. Und laut meiner Quelle ist die Aufseherin der Putzkolonne ein echter Drachen und macht das Labyrinth selbst sauber. Seit der Jahrtausendwende hat’s da nicht einen Schmutzfleck gegeben.«
» Deine Quelle?«
» Wachmann. Jason Murphy. Säuft im Cross Keys.«
» Alles klar«, sagt sie. » Danke.«
» Apropos, da geh ich auch gleich hin. Ist der Pub gleich beim Funnland. Seh ich dich da?«
» Ja, sicher«, sagt sie. » Ich muss nur vorher noch ein paar Anrufe machen. Stacey Plummer?«
» Genau. Zwei › M‹, kein › B‹.«
» Danke dir«, sagt sie. » Ich schulde dir was.«
» Spendier mir ’nen Drink.«
Er legt auf. Und sie ruft schnellstens bei der Zeitung an, um zu sagen, dass man ihren Artikel vorerst noch zurückhalten soll.
KAPITEL 24
Zur Vernehmung mitgenommen. Was bedeutet » zur Vernehmung mitgenommen«? Dass er unter Verdacht steht? Geschieht das im Rahmen der Ermittlungen oder auf der Basis konkreter polizeilicher Erkenntnisse? Amber zermartert sich das Hirn und versucht angestrengt, sich daran zu erinnern, was damals, vor all den Jahren, über sie und Jade gesagt wurde. Sie stellt fest, dass sie, eingesperrt auf dem Polizeirevier von Banbury, nicht die geringste Ahnung hatten, was draußen vor sich ging. Hinter diesen Mauern hatte es, bevor die Leute die Achtzehnuhrnachrichten sahen und sich zusammenrotteten– Jogginganzüge, Plakate und zerbrochene Ziegelsteine, so demonstrierten die aufrechten Bürger von Oxfordshire ihre Solidarität mit der Familie Francis–, nur sie beide gegeben, außerdem die teilnahmslosen Polizisten, die freundlichen Sozialarbeiter, Jades Mutter, die im Vorzimmer heulte (ihre eigene Mutter, unterwegs zu ihrem Urlaubsort im Fernen Osten, konnte erst nach drei Tagen ausfindig gemacht und zurückgebracht werden), und Romina, die grimmig rauchend auf und ab tigerte, sowie später dann ihre Rechtsanwälte. Erst als ihr Anwalt sie unvermittelt unterbrach und ihr riet, aufzupassen, was sie sagte, begriff sie, dass sie hier nicht mehr rauskommen würden und auch nicht Teil der Ermittlungsroutine waren, sondern dass die Polizei die ganze Zeit über gewusst hatte, dass sie die Schuldigen waren, und nur darauf wartete, dass ihre Versionen voneinander abwichen.
Wie ein eingesperrtes Tier stromert sie durchs Haus, hat Angst hinauszugehen, Angst, ihr Gesicht zu zeigen, falls die Neuigkeit schon die Runde in der Siedlung gemacht hat. Was bestimmt der Fall ist. Selbst wenn sie gewollt hätten, hätten sie nicht öffentlichkeitswirksamer zu Werke gehen können. Das war natürlich Absicht.Fünf tote Frauen, und bislang wurde außer Pressekonferenzen nichts
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