Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
gestern keine Dusche.«
Hastig zieht sie die Hand zurück und steht verloren mitten in der Küche herum. Sein Rücken ist steif, aber sie bemerkt, dass er mit dem Fuß unruhig auf den Boden trommelt, während er darauf wartet, dass das Wasser kocht. Er ist nervös, denkt sie. Er weiß, dass es unmöglich ist, nicht darüber zu reden. Selbst bei mir kommt er damit nicht durch, obwohl ich von allen Frauen weltweit wohl noch diejenige bin, die die wenigsten Fragen stellt.
» Hast du etwas gegessen?«, erkundigt sie sich.
» Ja«, erwidert er. » Die lassen einem was aus dem Antalya kommen. Was man will. Wusste ich nicht. Du?«
» Nein«, sagt sie. » Merkwürdigerweise wusste ich das nicht.«
Er spricht hastig weiter, die Worte sprudeln nur so hervor, als wäre er auf Koks. » Tja, jedenfalls gehen sie da hin. Weil die dort halal kochen, deshalb brauchen sie sich darum schon mal keine Gedanken zu machen. Keine Ahnung, wie’s mit koscher steht. Kümmert sie wahrscheinlich nicht. Kennst du eigentlich den Unterschied zwischen koscher und halal? Egal. Ich hatte jedenfalls einen Lammburger. War ganz okay. Und zum Frühstück Spiegeleier mit Speck. Das lassen sie sich vom Koh-Z-Nook liefern. Wenn man will, tun sie einem Chili in die Eier.«
Sie fällt ihm ins Wort. » Vic.«
Endlich dreht er sich um. Seine Augen glitzern erregt, als hätte er einfach nur eine tolle Nacht hinter sich und wäre noch nicht wieder runtergekommen. Er wirkt wie ein Mann, der den Jackpot geknackt hat. » Was?«
» Was ist passiert?«
Sie erwartet etwas, irgendeine Reaktion. Unbehagen, Verlegenheit, Scham– das Bedürfnis, etwas zu erklären. Stattdessen sieht sie weiße Zähne, eine hochgezogene Oberlippe, die ebenso gut Wut wie ein Grinsen darstellen kann, und völlig leblose Augen. Es ist das Lächeln eines Hais.
» Du weißt doch, was passiert ist, Amber«, sagt er ruhig. » Wieso fragst du dann?«
Sie schweigt, atemlos. Sie will nicht fragen. Ahnt, dass sie die Antwort kennt.
» Du warst die ganze Nacht auf, stimmt’s?« Er starrt sie an. Sein Blick gleitet flüchtig über ihren Körper.
» Ja«, erwidert sie. » Stimmt.«
» Und was hast du gedacht?«
» Was glaubst du denn, was ich gedacht habe?«
Vic dreht sich wieder zum Kessel um.
» Ich weiß nie, was du denkst, Amber. Weil du’s mir nie sagst. Im Hüten von Geheimnissen bist du wirklich absolute Spitze. Du hättest zum Geheimdienst gehen sollen.«
Nein, denkt sie. Nein, so kommt er mir nicht davon. Ich werde nicht einfach… Es gab einen Grund, warum sie ihn mitgenommen haben, und den will ich erfahren.
» Du schuldest mir eine Erklärung«, sagt sie. » Komm schon, ich war die gesamte Nacht und den ganzen Morgen wach. Ich bin fast durchgedreht.«
Er dreht sich zu ihr um und macht sich mit seinem Lachen über sie lustig. Lehnt sich, den Becher in der Hand, an die Arbeitsplatte und schlägt lässig einen Fuß über den anderen.
» Wie kannst du nur so…«, beginnt sie, gerät ins Stocken und verliert den Faden. » Warum bist du bloß so?«
» Du siehst scheiße aus«, sagt Vic. » Kein Wunder, echt.«
» Kein Wunder was?«, fragt sie mit einem Anflug von Panik in der Stimme. » Was hast du getan, Vic?«
Er knallt den Becher auf die Platte, heißer Tee spritzt wild durch die Luft. Sie zuckt zusammen und registriert dann die kurze Diskrepanz zwischen dieser Bewegung und seinem Gesicht, in dem sie einen entsprechenden Ausdruck erwartet hat. Er spielt mir etwas vor, denkt sie. Er tut nur so, als wäre er sauer. Dabei empfindet er überhaupt nichts.
» Bist du sicher, dass du es wissen willst? Dann kannst du es nicht mehr rückgängig machen, Amber. Wenn du’s erst einmal weißt, wirst du’s für immer wissen.«
» Ja«, erwidert sie, » ich will es wissen. Um Himmels willen…«
Er macht eine Kunstpause. Sieht sie vergnügt an. » Du denkst tatsächlich, ich hätte diese Mädchen umgebracht, oder?«
Ihr ist, als hätte sie einen Schlag in den Solarplexus bekommen. Zischend entweicht die Luft aus ihren Lungen, und ihre Backenzähne schlagen aufeinander. Das ist es, was ihr, seit sie ihn abgeholt haben, die ganze lange Zeit im Kopf herumgeht. Wie auch nicht? Nur ein Geisteskranker würde sich unter den gegebenen Umständen weigern, den Gedanken zuzulassen.
» Ich weiß es nicht«, entgegnet sie zurückhaltend. » Würdest du mir das verübeln?«
Ein freudloses, bitteres Lachen. » Wahre Liebe, was Amber?«
» Also, was würdest du denn an meiner Stelle
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