Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Augenblick macht. Es ist immer die Vergangenheit, die die Leute im Kopf haben. Nimm nur Cholo hier. Er hat vor fünfzehn Jahren einen Fehler begangen, und wir müssen uns das immer noch um die Ohren schlagen lassen. Was soll die Scheiße? Findest du das fair?«
»Er hat seinen Schwager vom Dach der Jax-Brauerei auf einen Wagen beim Mardi-Gras-Umzug geworfen. Das war selbst für New Orleans eine Premiere.«
»Hey, Lieutenant, da ging’s noch um ’ne Menge anderer Dinge. Der Kerl hat meine Schwester verprügelt. Der war ein beschissenes Tier.«
»Hör zu, Dave, du bist schon lange weg aus New Orleans«, sagte Baby Feet. »Die Stadt ist nicht mehr wiederzuerkennen. Schwarze Kids mit geronnener Scheiße im Hirn halten die ganze Scheißstadt zum Narren. Sogar im Audubon-Park werden Leute gekillt. Bei Gott. Wenn du auf der St. Charles in die Straßenbahn steigen willst, hängen da die Nigger und Japse schon zu den Türen und Fenstern raus. Früher gab’s gewisse Übereinkünfte mit der Stadt. Jeder kannte die Regeln, niemand kam zu Schaden. Mach jetzt mal einen kleinen Spaziergang bei den Projects, Desire oder St. Thomas, paß mal auf, was dann passiert.«
»Worauf willst du raus, Julie?«
»Wer braucht so eine Scheiße, darauf will ich raus! Ich besitze ein Tonstudio, derselbe Laden, wo Jimmy Clanton seine erste Platte aufgenommen hat. Ich bin in der Unterhaltungsbranche. Ich telefoniere jeden Tag mit Leuten in Kalifornien, über die du in den Illustrierten liest. Wenn ich hier in dieses Drecksloch reinkomme, sollten sie eigentlich einen ›Willkommen-daheim-Balboni-Tag‹ ausrufen. Statt dessen teilt man mir mit, daß ich hier die Luft verpeste. Das verletzt mich, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich rieb die Handflächen aneinander.
»Ich bin nur der Botenjunge«, sagte ich.
»Hat dich der Wäschereibesitzer, für den du arbeitest, geschickt?«
»Er hat so seine Befürchtungen.«
Er winkte die Frau weg und setzte sich im Liegestuhl auf.
»Gib mir fünf Minuten, um mich anzuziehen. Dann möchte ich, daß du mich kurz wohin fährst«, sagte er.
»Meine Zeit ist grad ziemlich knapp.«
»Ich verlange fünfzehn Minuten deiner Zeit, allerhöchstens. Meinst du, die kannst du für mich erübrigen, Dave?« Er stand auf und ging an mir vorbei in Richtung seines Zimmers. Aus den Fettpölsterchen an seiner Taille ragten Büschel schwarzen Haars wie Schweineborsten. Er drehte sich mit ausgestrecktem Zeigefinger zu mir. »Sei bloß noch da, wenn ich wiederkomm. Du wirst es nicht bereuen.«
Die Frau mit dem gebleichten Haar setzte sich wieder an den Tisch. Sie nahm die Brille ab, spreizte kurz die Beine und blickte mir ins Gesicht, die Augen weder anmachend noch feindselig, nur tot. Cholo lud mich ein, eine Partie Gin Rommé mit ihnen zu spielen.
»Danke, damit hab ich’s nie gehabt«, sagte ich.
»Dafür haben Sie’s aber mit Pferden gehabt, Lieutenant«, sagte er.
»Yep, Pferde und Jim Beam. Das gab auf der Rennbahn immer eine interessante Kombination ab.«
»Hey, erinnern Sie sich noch, wo Sie mir damals die zwanzig Mücken geliehen haben, damit ich von Jefferson Downs heimkomm? Das hab ich nicht vergessen, Lieut. Das war schwer in Ordnung.«
Cholo Manelli war der Sohn einer mexikanischen Waschfrau, die sich wahrscheinlich wünschte, statt seiner lieber eine Kegelkugel zur Welt gebracht zu haben, und eines gehirngeschädigten sizilianischen Buchmachers, dessen Kopf vom Schlagstock eines Cops im Irish Channel in Mitleidenschaft gezogen worden war. Er war in Iberville aufgewachsen, einer desolaten Wüste von Sozialwohnungen gegenüber den alten Friedhöfen von St. Louis, und wurde mit elf das erstemal zusammen mit seinen Brüdern verhaftet, weil sie die Penner, die in den leeren Grabkammern schliefen, ausgeraubt und verprügelt hatten. Mit Sand gefüllte Socken waren die Waffen ihrer Wahl gewesen.
Er hatte die schwieligen, eckigen Hände eines Maurers, ein Gesicht von der Ausdrucksstärke eines Tortenblechs. Ich hatte immer angenommen, daß man keinen Unterschied merken würde, wenn man ihn einer Lobotomie unterzöge. Soziopath, lautete die Diagnose der Psychiater in Mandeville, und sie rückten seinem Kopf mit Stromstößen zuleibe. Es war offenkundig, daß die Behandlung genausoviel Wirkung zeigte wie der Versuch, eine leere Autobatterie mit drei matten Mignonzellen aufzuladen. Bei seinem ersten Aufenthalt in Angola steckten sie ihn gleich zu den »Big Stripes«, wie man die Gewalttätigen und
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