Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Beschaffenheit mich an ein getrocknetes Tabakblatt erinnerte.
Eigentlich hätte es leichtes Spiel für uns sein müssen. Aber dann sah ich im Mondlicht etwas aufblinken. Es war Draht. Er war über die sandige Straße gespannt, in einer Höhe von etwa zehn Zentimetern. Ich stellte die Flinte an einen Baum, ging im nassen Laub auf die Knie und tastete mit den Fingern am Draht entlang, bis ich zwei leere Frühstücksfleischdosen berührte, die mit Faden am Draht befestigt waren. Dann kamen noch zwei, und noch zwei. Durchs Unterholz konnte ich im Mondlicht, das von der Lichtung her schien, ein regelrechtes Netzwerk ausmachen, bestehend aus Nylonangelleinen, die kreuz und quer zwischen Baumstämmen, Ästen, Wurzeln und Sträuchern gespannt waren und an denen überall Blechdosen, Tortenplatten und sogar eine Kuhglocke befestigt waren.
Ich schwitzte jetzt stark unter dem Regenmantel. Ich wischte mir mit der Hand das Salz aus den Augen.
Ein kurzer Spurt über die Lichtung, daß die Lunge platzt
, dachte ich bei mir.
Ein Schritt über die Veranda, die Tür aus den Angeln treten, dann wumm! – die Sache ist erledigt
.
Aber ich wußte, daß es so nicht laufen würde. Bevor ich noch die Veranda erreichte, würde ich so viel Lärm machen wie ein fahrender Schrotthändler, und die Wahrscheinlichkeit war groß, daß er dann mit einer Pistole an ihrem Kopf dort stand, falls Alafair überhaupt noch lebte.
»Wir müssen warten, bis es hell wird oder er rauskommt«, flüsterte ich Rosie zu.
Wir knieten uns zwischen den Bäumen hin, in der feuchten Luft, auf die dichte Schicht aus schwarzen und gelben Weidenblättern, inmitten der Moskitos, die in richtigen Wolken unter uns aufstiegen und sich auf unsere Gesichter und die freien Stellen an Händen und Hals stürzten. Einmal sah ich ihn aufstehen. Er ging zu einem Regal, dann wieder zurück zum Tisch, wo er in einer Zeitschrift las, während er salzige Cracker aus einer Schachtel aß. Meine Schenkel brannten, und ein stechender Schmerz, gegen den ich keine Abhilfe fand, breitete sich nach und nach in meinem ganzen Rücken aus. Rosie saß da, auf den Hacken kauernd, und wischte sich die Moskitos von den Unterarmen. Das rosa Kleid war hoch über ihre Schenkel gerutscht, und die Waffe hatte sie auf eine Astgabel gestützt. Ihr Hals glänzte vor Schweiß.
Kurz nach vier hörte ich eine Meeräsche im Wasser springen, ein Alligator klatschte hinten in der Marsch mit dem Schwanz, und hinten am anderen Ende der Lichtung sang eine einsame Spottdrossel. Die Luft veränderte sich; von der Bucht her kam eine kühle Brise auf, die das Aroma von Fisch und Shrimps über die Schlammzonen blies. Dann breitete sich am unteren Rand der Wolkenbanken am östlichen Horizont ein fahler Lichtrand aus, wie Kobalt, wie das wäßrige grüne Licht im Sommer unmittelbar vor einem Regen, und binnen weniger Minuten konnte ich die dunklen Konturen der schmalen Landzungen sehen, die weit in die Bucht hineinragten, kleine Wellen mit den Gischtkronen der herankommenden Flut und in der Ferne die Takelage eines Fischerbootes, das in der Dünung schaukelte.
Dann schrieb Murphy Doucet den Rest des Drehbuchs für uns. Er löschte die Petroleumlampe, streckte sich, nahm etwas vom Tisch, ging zur Vordertür hinaus und lief außerhalb unseres Blickfelds hinter der Hütte auf das Toilettenhäuschen zu.
Wir traten aus den Bäumen auf die Lichtung, sorgsam bemüht, die gespannten Angelleinen nicht zu berühren, schafften es bis zur vorderen Ecke der Veranda, ohne Lärm zu schlagen, und trennten uns dort. Von unter der Hütte roch es salzig nach verdorbenem Eiweiß, nach toten Ratten und Brackwasser.
Die Fenster an der Rückseite der Hütte waren mit Obstkistenbrettern vernagelt, so daß ich nicht ins Innere blicken konnte. Bewegung vernahm ich auch keine. An der Rückwand angekommen, blieb ich stehen, drückte die Flinte flach an die Brust und riskierte einen Blick um die Ecke. Murphy Doucet hatte jetzt fast die Tür der Außentoilette erreicht, an den Füßen Jagdstiefel mit offenen Schnürsenkeln. Ein silberner Gegenstand blinkte in seiner rechten Hand. Jenseits des Klos, am Rand der Marsch, war ein Jagdhund an einen Pfosten gebunden, umgeben von einem Ring von Kothaufen.
Ich trat aus dem Schatten der Hütte, riß den Kolben der Flinte gegen die Schulter, zielte auf einen Punkt zwischen Doucets Hals und seinen Schulterblättern und spürte bereits, wie sich die Worte in meiner Kehle formten, nach oben stiegen wie
Weitere Kostenlose Bücher