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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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hinderte sie daran. »Du bist müde und hältst mich bloß auf. Sag dem Kind, es braucht keine Angst vor mir zu haben. Ich trage sie.«
    Zarabeth bückte sich und strich zärtlich über Lottis weiches Haar. »Hör zu, mein Liebling. Du mußt dich nicht vor Magnus fürchten. Er ist groß und stark, aber er tut dir nicht weh. Nein, bleib ruhig. Ich verspreche es dir. Laß dich von ihm tragen, mein Liebling.«
    Magnus warf ungeduldig ein: »Kann das Kind dich nicht verstehen? Mußt du mit ihm reden wie in einer fremden Sprache?«
    Zarabeth achtete nicht auf ihn. Endlich nickte Lotti, und Zarabeth wandte sich an Magnus. »Sie läßt sich von dir tragen. Bitte Magnus, sie kann nichts dafür. Sie ist ein kleines Kind. Tu ihr nicht weh.«
    »Ich bin doch kein Ungeheuer. Ich tue Kindern nicht weh.«
    »Lüge nicht! Ich weiß, was ihr Wikinger den Menschen antut — auch Kindern — auf euren Raubzügen! Ihr spießt sie auf Eure Schwerter. Ihr werft sie . . .«
    »Halt den Mund. Ich tue ihr nicht weh. Im Gegensatz zu dir, Zarabeth, lüge ich nicht.«
    Seufzend schwieg sie. Sie glaubte ihm. Wenigstens war Lotti bei ihr. Sie hatte irgendwie gesiegt, wenn man den Umstand, Sklavin zu sein, einen Sieg nennen konnte.
    »Wenn du aus York entkommen wärst, wo wärst du denn hingegangen?« Seine Stimme klang belustigt, als er neben ihr herging, Lottis Kopf an seine Schulter gebettet.
    »Ich weiß nicht. Vielleicht nach Wessex zum Hof des Großkönigs Alfred. Dort hätte mich vielleicht eine reiche Dame in ihre Dienste genommen, ich hätte Näharbeiten verrichten können.«
    Er schnaubte verächtlich. »Deine Dummheit erstaunt mich. Du hättest keine Stunde überlebt. Da draußen laufen gesetzlose Banditen herum, und du bist eine schutzlose Frau. Man hätte dich so lange vergewaltigt, bis du verblutet wärst. Jetzt bist du in Sicherheit, weil dich ein starker Mann beschützt. Du wirst für mich nähen und tun, was ich dir befehle. Du wirst rasch lernen zu gehorchen, denn ich habe die endlosen Scherereien mit dir satt.«
    Sie schwieg, den Blick geradeaus gerichtet. Sie kamen an Leuten vorbei, die sie kannten. Die Menschen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Sie kamen an vertrauten Häusern vorbei, an kleinen Gärten. »Ich werde York vermissen.«
    »Ja«, sagte Magnus gedehnt und spöttisch. »Eine Stadt mit freundlichen Bewohnern und von großer Schönheit und wundersamen Wohlgerüchen.« Abfällig wies er auf einen Haufen Dung, von Insekten umschwirrt. »Hör zu, Weib. Diese Leute zeigen nur Neugier, weil du unter meinem Schutz stehst.«
    Sie seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber ich begreife nicht, warum mir niemand geglaubt hat.«
    »Ich wünsche deine Unschuldsbeteuerungen nicht länger zu hören. Dort ist mein Schiff. Beeil dich. Wir stechen in See, sobald du deinen Fuß an Bord gesetzt hast.«
    Der erste Mann, den Zarabeth an Bord der Seewind sah, war Ragnar. Er hob den Arm, um sie zu schlagen. Sie versuchte, ihm standhaft in die Augen zu sehen, doch die nackte Angst stand ihr im Gesicht geschrieben. Magnus schüttelte den Kopf, und Ragnar ließ widerwillig den Arm sinken. Doch der Haß in seinen Augen veränderte sich nicht. Sie folgte Magnus stumm in den überdachten Frachtraum, wo er Lotti auf einer geflochtenen Matte absetzte. »Bleib hier.«
    Zarabeth sank zu Boden, zog Lotti zu sich auf den Schoß. Sie war vor Müdigkeit wie gelähmt. Ihre Flucht war gescheitert, doch Lotti war bei ihr und in Sicherheit, wenigstens so sicher wie sie selbst. Würde man das Kind in Norwegen wie eine Sklavin behandeln? Wie ging man mit Sklaven in dem fremden Land um? Wurden sie geschlagen und schlecht ernährt? Lebten sie unter so bedauernswerten Bedingungen wie im Sklavenlager in York?
    Angst kroch durch ihre Eingeweide.
    Sie hätte sich so gerne gewaschen; ihr eigener Gestank ekelte sie. Lotti kratzte sich immer wieder eine eitrige Wunde am Ellbogen auf, die dringend gereinigt werden mußte. Zarabeth zupfte Stroh und Erdklümpchen aus dem verfilzten Haar der Kleinen. Wie mochte sie erst aussehen. Doch sie mußte niemandem gefallen. Magnus ging es nur darum, sie zu demütigen. Sie fragte sich, wie grausam er war, ob er sie foltern würde. Mit diesem Gedanken schlief sie ein und rührte sich die ganze Nacht nicht.
    Im Morgengrauen machten die Männer die Leinen los. Zarabeth hörte die Rufe der Seeleute. Magnus rief den Männern an den Rudern Befehle zu. Das riesige viereckige Segel würde erst gehißt werden, wenn der Hafen

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