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Im Schatten des Drachen

Im Schatten des Drachen

Titel: Im Schatten des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Leuning
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vorher abgehauen, oder ich hatte ihn von mir gestoßen, bevor er mir zu nahe kam. Ich sagte das erste, was mir einfiel.
    „Es tut mir leid, Paul.“
    Er hielt noch immer die Tür auf, und die kühle Nachtluft strich wie begütigend um meine Beine.
    „Komm“, antwortete er und legte seinen Arm um meine Schultern. „Ich bringe dich nach Hause.“
    Ich wagte nicht zu glauben, was er gesagt hatte, hielt die Erleichterung, die in mir aufkeimte, so klein wie eine fremde Pflanze, von der man noch nicht wusste, ob sie ein Unkraut oder ein Heilmittel war. Eine ganze Weile standen wir stumm draußen vor dem Pub, er hatte den Arm von meiner Schulter gleiten lassen und stützte meinen Rücken. Ich fragte nicht, woher er wusste, dass dieser Griff mir gut tat, aber ich genoss es, weil ich so mein Bein entlasten konnte.
    Schließlich kam das Taxi, und er ließ mich zuerst einsteigen. Mein Blick folgte ihm misstrauisch, als er um den Wagen herumging und die andere Tür öffnete. Er beugte sich herein und murmelte hastig: „Sorry, Matty, aber ich habe etwas vergessen.“ Damit warf er die Tür wieder zu und eilte zurück in den Pub.
    Das war’s.
    Ich trat das Pflänzchen ‚Erleichterung’ in mir tot und riss den Sprössling ‚Hoffnung’ auch gleich noch mit heraus. Das war sein Rückzieher gewesen. Sein Absprung. Elegant, gentlemanlike, ganz der sanfte, smarte Ire. Und trotzdem ein Arsch. Brachte mich fürsorglich zum Wagen und arbeitete in Gedanken schon den Fluchtplan aus. Er war clever, das hatte ich gemerkt. Dass er aber auch noch so unglaublich abgebrüht war, damit hatte ich nicht gerechnet.
    Es war erschreckend, wie schnell meine Gefühle von einem Extrem ins andere umschlugen. Das machten diese verdammten Pillen, vielmehr die Tatsache, dass ich sie heute vergessen hatte einzunehmen. Deshalb hatte ich auch diese höllischen Schmerzen, die mir fast den Verstand raubten. Ich wollte schreien, wollte ihm nachrennen in den Pub hinein und ihm dort eine runterhauen. Aber meine ohnmächtige Wut über die Gewissheit, dass ich diese spontanen Bedürfnisse nicht ausleben konnte, trieb mir nur die Tränen in die Augen.
    „Möchten Sie noch warten?“, hörte ich den Taxifahrer fragen.
    Als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich warf einen Blick auf die Uhr im Fahrerraum. Paul war jetzt etwa sieben Minuten da drin. Wie lange brauchte man, um etwas zu finden, das man nicht verloren hatte? Ich atmete tief durch.
    „Noch drei Minuten, dann fahren wir“, antwortete ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    Es waren drei schreckliche Minuten. Und sie vergingen, ohne dass sich in dem Pub etwas regte.
    „Also gut“, seufzte ich, als das Ultimatum verstrichen war, „fahren Sie.“
    Im nächsten Moment erstarb der Motor. Der Fahrer fluchte und startete erneut. Nichts. Ich stöhnte innerlich. Hörten diese Demütigungen denn nie auf?
    Plötzlich spürte ich einen frischen Windzug um meine Nase streichen, die Tür neben mir schlug zu.
    „Sorry, Matty, sorry, but this was important.“ Seine Stimme klang gehetzt und wirklich voller Bedauern, und ein Schal wedelte vor meinem Gesicht herum. „Es ist mein Lieblingsschal. Ich hatte nicht bemerkt, dass er hinter die Garderobe gefallen war. Wir haben den ganzen Pub abgesucht, deshalb hat es so lange gedauert.“ Sein Atem flog schnell durch seine halb geöffneten Lippen. Er hatte sich wirklich beeilt. Im nächsten Moment sprang der Wagen an und ich sagte zum Fahrer gewandt: „Staunton’s on the Green, please.“
    Eine Weile fuhren wir schweigend nebeneinander her durch die hell erleuchteten Straßen von Dublin. Schließlich legte Paul eine Hand auf meine, löste damit wieder jenes seltsam kühle Prickeln in mir aus.
    „Du wolltest ohne mich fahren, nicht wahr? Du dachtest, ich komme nicht zurück.“
    Ich schämte mich entsetzlich für mein Misstrauen, aber wenigstens wollte ich dazu stehen und nickte. Seine Hand blieb auf meiner liegen, als er flüsterte: „Aber du hast auf mich gewartet, und darüber bin ich froh.“
    Ich verriet ihm nicht, dass nur ein Staubkorn im Vergaser mich aufgehalten hatte.
       
     
    Fast lautlos schloss ich die Zimmertür auf, während mein Blick noch einmal den Gang entlang glitt. Keiner der anderen Hotelgäste war zu sehen.
    „Komm rein, schnell“, murmelte ich und trat selbst rasch über die Schwelle, wie um ihn allein dadurch unsichtbar werden zu lassen. Meine Heimlichtuerei war mir selbst peinlich, aber wahrscheinlich war es mehr die Nervosität, die

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