Im Schatten des Drachen
lieber überhaupt nicht aufstehen sollte, da hörte ich die Toilettenspülung rauschen. Im nächsten Moment kam er aus dem Bad heraus.
Er trug keinen Slip mehr.
Der Anblick seines nackten Körpers ließ mir den Mund trocken werden.
Langsam kam er auf mich zu, gab damit mir und sich selbst die Chance, uns auf die neue Situation einzustellen. Mein Herz raste wie wild, und die aufwallende Unsicherheit schnürte mir die Kehle zu. Was sollte ich jetzt tun? Wie viel von ihm wollte ich an mich heranlassen, wie viel von mir würde er ertragen können? Immer wieder fuhr mein Blick an ihm auf und ab, als würden meine Augen seinen Körper scannen, um dann eine Kopie davon in mein Gedächtnis brennen zu können.
Er schien meine Panik zu spüren, denn er setzte sich ganz vorsichtig auf die Bettkante und flüsterte mit sanfter Stimme.
„Es ist nur ein Angebot, Matty, weil doch gestern Abend nichts mehr passiert ist. Aber du musst es nicht annehmen. Wenn du magst, dann lege ich mich einfach nur so noch ein bisschen zu dir, okay?“
Damit glitt er wieder unter die Bettdecke, ohne auch nur einen Zentimeter davon von mir wegzuziehen. Seine Augen hielten mich in ihrem Bann, und noch immer schweigend schob ich mich näher an ihn heran, spürte wieder die mittlerweile vertraute Wärme an meinem Bauch, schob schließlich einen Arm unter seinen Nacken, damit er seinen Kopf an meine Brust legen konnte. Mit einem erleichterten Seufzer lehnte ich meine Wange gegen seinen Scheitel, vergrub meine Nase in seinen irre weichen Locken und atmete deren Duft.
Eine ganze Weile lagen wir ganz still beieinander, und ich glaubte fast, er wäre wieder eingeschlafen, als ich ihn unvermittelt fragen hörte:
„Könntest du dir vorstellen, hier mit mir zu leben?“
Erneut brachte er mich aus meinem gerade mühsam wiedererrungenen inneren Gleichgewicht. Vielleicht hätte ich mit dieser Frage rechnen müssen, aber eigentlich noch nicht jetzt, nicht hier, nicht so direkt. Wir kannten uns erst seit einer Woche, und außer Pauls Kneipentouren, gelegentlichen Stadtbummeln und einer Führung durch das Trinitiy-College hatte ich mit ihm noch nicht viel gemeinsam erlebt. Ich kannte ihn kaum; dabei hatte ich nach dieser friedlichen Nacht das Gefühl, als würde das, was hier geschah, genau das Richtige für mich sein. Doch das ihm zu sagen, erschien mir in diesem Moment zu vage. Deshalb versuchte ich, meine Verwirrung in Humor zu verpacken:
„Was, hier im Hotelzimmer?“
Paul stieg nicht darauf ein. Offenbar hatte er die Frage sehr ernst gemeint. Ich atmete tief durch. Konnte ich mir vorstellen, hier in Irland zu bleiben? Ganz neu anzufangen in einem fremden Land, das mir im Grunde gar nicht mehr so fremd war? Auch ohne Paul hatte ich hier schon viel gesehen, vieles erlebt. Aber das war ein anderes Leben gewesen.
„Ich weiß nicht, Paul. Ich glaube, es ist noch zu früh, das zu entscheiden. Ich mag Irland, wirklich, nein, ich bin regelrecht darin verliebt, aber ...“
Sein Mund war ganz nahe an meinem Hals, als er flüsterte: „... aber du bist nicht in mich verliebt, stimmt’s?“
Ich spürte, jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen, es ihm zu sagen. Aber dann hätte ich ihm auch alles andere sagen müssen. Dazu war ich nicht bereit. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Mein Schweigen verriet mich trotzdem. Paul rührte sich nicht. Sein Kopf lag schwer auf meiner Brust, drückte auf das Brustbein und mir das Herz ab. Oder war das die plötzliche Grabesstille zwischen uns? Als wollten wir uns beide tot stellen, die letzten Augenblicke einfach übergehen, sie nicht erlebt haben.
Schließlich spürte ich seinen Finger über meine Brust gleiten. Er flüsterte etwas auf gälisch. Ich kannte diese Sprache bereits aus den Liedern seiner Band, und ihr tiefer, kehliger Klang fesselte mich:
„A mhuirnín ó an dtiocfaidh tú na bhaile
A mhuirnín ó an dtiocfaidh tú liom
A mhuirnín ó an dtiocfaidh tú na bhaile
A mhuirnín ó ...“
Mein automatischer Versuch, den Sinn der Worte durch Analyse und Vergleich mit mir bekannten Sprachen zu erraten, scheiterte kläglich. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie im nächsten Moment ein ungutes Gefühl in mir auslöste und mich unwillig murmeln ließ: „Hör bitte auf. Ich mag es nicht, wenn ich nicht verstehen kann, was du sagst.“
Sein Finger hielt direkt über meiner linken Brustwarze inne, er hob den Kopf und schaute mich trotzig an.
„Musst du denn immer alles verstehen? Immer analysierst und
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