Im Schatten des Drachen
Komplimente machen, das macht nur eitel und hässlich.“ Er merkte auf, als ihn einer seiner Bandleute ins Hinterzimmer winkte. „Entschuldige bitte, ich muss mal rasch die Formalitäten des heutigen Abends klären.“
Als er verschwunden war, begann mein Gehirn gegen meinen Willen fieberhaft zu arbeiten. Jetzt war die letzte Gelegenheit, zu zahlen und abzuhauen. Der Abend war gut gelaufen, ich hatte mich prächtig amüsiert, er sich auch, und wenn ich jetzt ging, würde es für uns beide eine angenehme Erinnerung sein, nichts weiter. Bliebe ich, würde ich uns beiden wehtun, und nichts würde bleiben als dieser Schmerz.
Ich winkte dem Wirt, zog mein Handy hervor und wählte den Taxiruf, während ich gleichzeitig einen Schein aus meiner Geldbörse fischte und ihn dem Wirt mit der Geste „Stimmt so“ in die Hand drückte. Er nickte grunzend und wischte den Tresen vor meinem Platz sauber, sammelte ein, zwei Papierschnipsel ein, die da herumlagen.
Schließlich angelte ich mir einen Bierdeckel und kritzelte mit etwas zittriger Hand darauf: „Sorry, but it was time for me to go. Was a pleasure to meet you.“ - und nach einem kurzen Zögern: „Won’t forget you.“ Damit schob ich den Bierdeckel mit der Schrift nach oben unter Pauls Guinnessglas und verließ hastig den Pub, ohne mich noch einmal umzudrehen. Es sah aus wie eine Flucht, und irgendwie war es das auch. Draußen wartete bereits das Taxi, und ich verdrängte den Gedanken, etwas Wichtiges im Pub vergessen zu haben.
Zwei Minuten später rauschte ich davon. Das Klacken meines Hotelzimmerschlüssels im Schloss konnte kaum das heftige Schluchzen übertönen, das sich durch meine Lungen stahl, und das eiskalte Wasser aus dem winzigen Hahn im Badezimmer schaffte es nicht, die heißen Tränen fortzuspülen, die sich in meine Augen gestohlen hatten.
Dublin, Hotel Staunton´s on the Green, 03. September 2007
Am nächsten Morgen piepte es. Mitten in meine Träume hinein, die zu erwähnen mir die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte - seit langem zum ersten Mal. Irgendwie waren da ockerrote Locken gewesen und ein Armband in Regenbogenfarben. Zunächst konnte ich den fremden Piepton, der da an mein Ohr drang, nicht einordnen - bis mir schließlich dämmerte, dass es das Handy sein musste, denn das Zimmertelefon blieb stumm, als ich schlaftrunken den Hörer abhob, und einen Wecker besaß ich nicht. Die Frage war nur: wer kannte meine Nummer? Ich hatte mir das Handy erst kurz vor dem Flug nach Irland gekauft und bisher noch keine Zeit gehabt, die Nummer an Freunde oder Familienmitglieder weiterzugeben. Die nächste Frage, die sich mir aufdrängte, war: warum rief mich hier überhaupt jemand an? In einem familiären Notfall hätte ich hier auf der Insel, dreitausend Kilometer Luftlinie von zu Hause entfernt, ohnehin nichts unternehmen können, und dass meine Flexibilität zu wünschen übrig ließ, wussten die mir Nahestehenden ohnehin. Also was sollte jetzt dieser Anruf?! Nach dem fünften Klingeln beschloss ich, doch ranzugehen.
„Hallo?“
„Well, wir haben gestern Abend vergessen, uns einander vorzustellen. Wollen wir der Erinnerung aneinander nicht noch unsere Namen hinzufügen?“
Das war der seltsamste Gesprächsbeginn am Telefon, den ich je erlebt hatte, aber es war der für unser beider Situation passendste. Ich grinste. „Sehr originell. Aber ich weiß deinen Namen schon. Paul, nicht wahr?“
„Okay. Du bist im Vorteil.“ Er klang erleichtert, wohl weil ich nicht sofort auflegte.
„Woher hast du meine Nummer?“
„Du hast sie mir doch hinterlassen, wenn auch ziemlich versteckt und wahrscheinlich eher zufällig - da lag ein kleiner Zettel unter deinem Stuhl.“
Jetzt erinnerte ich mich an die Papierschnipsel, die der Wirt vor meinem Platz aufgesammelt hatte. Auf einem hatte wohl meine Handynummer gestanden, irgendwann mal hastig notiert, weil ich die neue Nummer noch nicht im Kopf hatte. Hatte es einfach sein sollen, dass ausgerechnet Paul den winzigen Papierfetzen im nächtlichen Gewühl des Pubs fand, bevor der Auskehrbesen ihn in den unersättlichen Schlund des Mülleimers beförderte?
Ich lauschte wieder ins Telefon, als er fragte: „Hast du gut geschlafen?“
„Bin gerade aufgewacht.“
„Oh, tut mir leid, dich geweckt zu haben. Ich hoffe, du hattest angenehme Träume?“
Ich zögerte. Meine morgendlichen Sexfantasien waren ja wohl meine Sache, oder? „Es ging so. Und du?“
„Mein
Weitere Kostenlose Bücher