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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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zusammen. Als sie diese wieder öffnete und sich aufrichtete, hörte sie das Quietschen des bremsenden Zugs, erboste Flüche und Kampfeslaute. Ein Dutzend Leiber war in ein unerbittliches Gerangel verwickelt, das kurz nicht aus vielen, sondern einem einzigen riesigen Körper mit zig Gliedern und Köpfen zu bestehen schien. Zunächst erkannte sie nur die Schienenarbeiter – dann die beiden Männer, die sie gerettet haben mussten.
    Der eine hatte wirres, langes Haar, das im Nacken zu einem Schwanz gebunden war und im Getümmel einer sich windenden Schlange glich. Nicht minder dreckig als Hose und Schuhe war sein Hemd, das irgendwann einmal vor Ewigkeiten weiß gewesen sein musste. Zu den Schweißflecken gesellten sich nun, da ihn eine Faust ins Gesicht traf, Blutspritzer, doch es schien ihm nicht viel auszumachen. Er duckte sich, drosch dann auf den Aufseher ein, und als er sich dabei halb zu ihr umdrehte, erkannte Victoria, wie seine blauen Augen, die im gleichfalls schmutzigen Gesicht mit schwarzem Bart noch heller wirkten, blitzten. Ihre Blicke trafen sich, und Victoria fühlte seinen Triumph, auch ein wenig Spott, vor allem aber Lust an dieser puren, ungezügelten Gewalt. Bis jetzt war ihr solche fremd gewesen – doch für einen Moment glaubte sie sich, die eben noch ohnmächtig der Schläge hatte harren müssen, in diesen starken Körper versetzt und auf all jene einzuprügeln, die den verletzten Arbeiter einfach hätten liegen lassen.
    Nicht weit von dem einen erkannte sie nun ihren zweiten Retter, feiner gekleidet, vor allem sauberer und mit glatt rasiertem Gesicht. Am Anfang hatte er sich auch an der Prügelei beteiligt, doch nun gehörte er zu den Ersten, die sich aus dem Gerangel heraushalten und mit Worten zu beschwichtigen versuchten. Zunächst konnte er sich kein Gehör verschaffen, doch nachdem er einmal tief Luft geholt hatte, brüllte er mit lauter Stimme, dass der Zug augenblicklich weiterfahren könnte, wenn man den Verletzten nur einfach mit nach Santiago nähme und ihn dort versorgte. Die prügelnden Männer hörten nicht auf ihn, umso mehr aber die Fahrgäste, aus deren Murren Laute der Zustimmung wurden.
    Drei oder vier waren sogar bereit, über die Böschung zu klettern und den Verletzten – der immer noch ohnmächtig oder bereits tot war – wieder hochzutragen, damit nur endlich die Fahrt ihren Fortgang nahm.
    Als Victoria zum Zug blickte, nahm sie einen dritten Mann wahr, kleiner und schmaler als die beiden anderen. Sie wusste nicht genau, worin die Ähnlichkeit lag, spürte jedoch instinktiv, dass er zu den beiden anderen gehörte, vielleicht sogar mit ihnen verwandt war. Angelegentlich stand er beim Zug; er mischte sich weder in die Prügelei ein, noch half er, den Verletzten hochzutragen, doch als der Lokführer ausstieg – offenbar hatte er eingesehen, dass er sich dem Verletzten gegenüber nicht länger blind stellen durfte –, ließ er sein Bein vorschnellen und den Lokführer darüber fallen. Ehe der sich wutentbrannt aufrappeln konnte, war der Mann schon wieder in den Zug geklettert. Das Letzte, was Victoria von ihm hörte, war ein spöttisches Kichern.
    Sie wollte wieder nach den anderen beiden sehen, doch in dem Augenblick kam Aurelia zu ihr gestürzt und nahm ihr Gesicht in beide Hände.
    »Victoria! Geht es dir gut? Mein Gott, ich dachte … ich dachte …«
    Sie konnte es nicht aussprechen.
    Victoria verdrehte die Augen. Ihre Schulter schmerzte noch ein bisschen vom Fußtritt, aber sie konnte ihren Arm heben und strecken. »Jetzt stell dich nicht so an!«, gab sie unwirsch zurück. »Es ist nichts weiter passiert.«
    »Nichts weiter passiert? Dieser Mann wollte dich schlagen!«
    »Aber am Ende hat er’s nicht getan.«
    Aurelia schüttelte den Kopf. »Warum musstest du dich auch einmischen?«
    »Wer sich nicht einmischt, lässt zu, dass die Welt noch ungerechter wird.« Victorias Kiefer mahlten.
    »Ich dachte, du wolltest in Santiago einen Beruf erlernen, um gegen die Missstände zu kämpfen, und nicht schon auf halbem Weg hier auf den Gleisen damit anfangen.«
    Aurelia zog sie mit sich, und diesmal wehrte sich Victoria nicht gegen ihren festen Griff. Die Prügelei war zum Erliegen gekommen. Schnaufend hielten sich die Beteiligten schmerzende Gliedmaßen oder Gesichter. Sonderlich schlimm war niemand verletzt worden, denn einige grinsten triumphierend.
    »Nun komm schon!«, rief Aurelia und zog sie weiter.
    Victoria sah, dass sich ein dunkel gekleideter Mann über den

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